Eine für vier 01 - Eine für vier
ihre Hütte zurück. Sie ging ins Bett, legte sich flach auf den Rücken. Heute würde sie ihre Gedanken nicht weiter schweifen lassen als bis zu den verwitterten Brettern der Hütte.
Tibby,
ich komme mir wie der letzte Idiot vor. In meiner Eitelkeit habe ich geglaubt, dass Kostos so verliebt in mich war, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, mir nachzusteigen und am Teich hinterherzuspionieren. Dann bin ich wieder zur selben Stelle gegangen und habe ihn dort schwimmen gesehen. Ja, nackt. Im Sommer schwimmt er dort vermutlich jeden Nachmittag und ich bilde mir ein, er wäre mir nachgelaufen.
Da ist noch etwas, was man leicht hätte übersehen können, weil er doch nackt war (oh! Mein! Gott!) und wegen des ganzen Durcheinanders aus Geschrei (von mir) und idiotischem Benehmen (auch von mir). Aber weißt du, was? Kostos hat mir in die Augen gesehen. Endlich, nach all den vielen Tagen, hat er mich angesehen.
Wenn du hier wärst, würdest du mich dazu bringen, dass ich darüber lache. Schade, dass du nicht hier bist.
Alles Liebe,
deine Lena
P.S.: Hast du in letzter Zeit etwas von Bee gehört?
Das Telefon klingelte. Carmen sah auf dem Display nach, wer anrief. Dabei wusste sie von vornherein, dass es nicht für sie war. Wer sollte sie schon anrufen? Tibby? Lydia? Womöglich Krista? Es war der Chef ihrer Mutter. Es war immer der Chef ihrer Mutter. Carmens Mutter war Rechtsanwaltsgehilfin und ihr Chef schien sie für seine Babysitterin zu halten.
»Ist Christina da?«, fragte Mr Brattle in seiner üblichen hastigen Art.
Carmen schaute auf die Uhr über dem Kühlschrank. Es war vierzehn Minuten nach zehn. Wieso rief er um vierzehn nach zehn an? Bestimmt hatte er mal wieder einen Zettel verloren oder an seinem Computer auf eine falsche Taste gedrückt, oder er wusste nicht mehr, wie man sich die Schnürsenkel band.
»Meine Mutter besucht Grandma im Krankenhaus. Sie ist sehr krank«, sagte Carmen kläglich, obwohl ihre Mutter im Obergeschoss vor dem Fernseher saß und ihre Grandma vermutlich auch noch ihre Enkel überleben würde. Carmen brachte Mr Brattle mir Vorliebe in Verlegenheit dafür, dass er angerufen hatte, oder redete ihm Schuldgefühle ein. »Um Mitternacht dürfte sie wieder hier sein. Ich richte ihr aus, dass sie dann bei Ihnen anrufen soll.«
»Nein, nein«, polterte Mr Brattle. »Ich rede dann morgen mit ihr.«
»Okay.« Carmen widmete sich wieder ihrem Essen. Das einzig Gute an Mr Brattle war, dass er ihrer Mutter einen Haufen Geld bezahlte und es nie wagte, eine Gehaltserhöhung abzulehnen. Carmen hatte zwar den Verdacht, dass ihn nicht Großmut, sondern die blanke Angst so handeln ließ, aber wie käme sie dazu, das zu hinterfragen?
Sie hatte auf dem Küchentisch vier verschiedene Sachen aufgebaut, die als Imbiss infrage kamen. Eine Mandarine, eine Packung Kräcker, ein Stück Cheddarkäse und eine Tüte getrockneter Aprikosen. Das Thema heute Abend war Orange.
In den zwei Wochen seit ihrer Rückkehr aus South Carolina hatte ihr nichts mehr geschmeckt. Sie hatte ihr Abendessen kaum angerührt und jetzt hatte sie Hunger. Hmmm. Sie griff nach den getrockneten Aprikosen und fischte eine aus der Tüte. Die Haut war weich, aber als sie die Aprikose in den Mund steckte, fühlte sie sich zäh an. Mit einem Mal hatte Carmen das Gefühl, auf einem Ohr herumzukauen. Sie spuckte die Aprikose in den Mülleimer und räumte die anderen Sachen wieder weg.
Sie ging nach oben und schaute in das Zimmer ihrer Mutter. Im Fernsehen lief eine alte Folge von Friends . »Hallo, Schätzchen. Magst du mit mir fernsehen? Ross hat gerade Rachel betrogen.«
Mit gebeugten Schultern schlurfte Carmen den Flur entlang zu ihrem Zimmer. Mütter sollten sich nicht um Ross oder Rachel kümmern. Früher hatte Carmen die Serie gemocht, aber dann fing ihre Mutter an, sich die Wiederholungen anzusehen. Carmen ließ sich auf ihr Bett plumpsen. Sie musste sich das Kissen über den Kopf ziehen, weil ihre Mutter so laut lachte, dass die Wände wackelten.
Carmen hatte sich geschworen, dass sie sich über ihre Mutter nicht ärgern würde. Sie würde nicht ständig gereizt sein und nicht herumnörgeln. Kein Stöhnen, kein Augenverdrehen. Sie musste wenigstens von einem Elternteil geliebt werden. Ein solches Versprechen ließ sich leicht abgeben, solange sie allein war. Aber wenn sie dann mit ihrer Mutter konfrontiert wurde, ließ es sich nicht mehr halten. Ihre Mutter machte dauernd etwas so Unverzeihliches wie viel zu laut
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