Eine für vier 01 - Eine für vier
die Augen zufielen, streckte sie sich vorsichtig aus und bettete ihren Kopf neben Baileys Kopf auf das Kissen. Baileys Haare streiften mit einem leichten Kitzeln ihre Wange. Tränen glitten Tibby aus den Augen und flossen ihr seitlich ins Ohr und in Baileys Haare. Sie konnte nur hoffen, dass das okay war.
Sie würde einfach bei ihr bleiben und Baileys Hand halten, die ganze Zeit über, damit Bailey keine Angst haben musste, dass es nicht genug davon gab.
An diesem Abend fand die Feier von Koimisis tis Theotokou statt, Mariä Himmelfahrt. Nach Ostern war das der höchste Feiertag der griechisch-orthodoxen Kirche. Sowohl Lena als auch Effie gingen mit ihren Großeltern zum Gottesdienst in die kleine, schlichte, wunderschöne Kirche. Danach gab es eine kleine Prozession und dann legte die ganze Stadt mit Essen und Trinken los.
Grandma war im Dessert-Komitee, und so hatte sie mit Effie einige dutzend Bleche baklava gebacken, mit allen nur erdenklichen Nüssen in der Füllung des zarten Gebäcks. Seit der Sommer seinem Ende zuging, hatte Grandma Effie noch intensiver angelernt.
Lena trank ein Glas starken, herben Rotwein. Der Wein machte sie müde und traurig. Sie ging in ihr Zimmer hoch und setzte sich im Dunkeln ans Fenster. Von dort aus konnte sie alles aus einiger Distanz beobachten. So hatte sie den meisten Spaß an einer Party.
Nach Sonnenuntergang wurde die Feier draußen auf der Straße und auf dem kleinen Platz ein paar Meter unterhalb von Kostos’ Haus geräuschvoller. Die Männer tranken jede Menge ouzo, und als die Musik einsetzte, wurden sie sehr kontaktfreudig. Selbst Bapi hatte ein breites, albernes Grinsen im Gesicht.
Auch Effie trank ein paar Gläser Wein. In Griechenland gab es keine Altersgrenze für Alkohol. Tatsächlich drängten die Großeltern bei besonderen Anlässen Effie und Lena ein Gläschen förmlich auf, was vermutlich dazu geführt hatte, dass Effie an Alkohol viel weniger interessiert war, als es wohl sonst der Fall gewesen wäre. Heute Abend aber hatte Effie gerötete Wangen und wurde überschwänglich. Lena sah zu, wie ihre Schwester zu ein paar Musikstücken mit Andreas dem Kellner tanzte und sich dann mit ihm in ein dunkles Gässchen verdrückte. Das machte Lena keine Sorgen. Effie hatte ein überschäumendes Naturell, aber im innersten Kern war sie vermutlich der vernünftigste Mensch, den Lena kannte. Effie liebte Jungen heiß und innig, aber auch mit vierzehn gab sie sich nicht für sie auf.
Heute Nacht hatte Oia zwei gleichermaßen leuchtende Vollmonde, einen am Himmel und einen im Meer. Wenn Lena es nicht gewusst hätte, wäre sie nicht in der Lage gewesen, das Original herauszusuchen.
Im Mondschein sah sie das Gesicht von Kostos. Er hatte nicht bemerkt, dass Lena nicht da war, und das war ihm auch ganz egal. Da war sie sich ganz sicher.
Ich wollte , es wär dir nicht egal , teilte Lena ihm auf telepathischem Weg mit und hätte den Satz am liebsten gleich wieder zurückgenommen.
Sie sah, wie Kostos sich ihrer Großmutter näherte. Valia stellte sich auf die Zehenspitzen, umarmte ihn und küsste ihn so heftig, dass Lena sich schon fragte, ob sie ihn womöglich erwürgte. Kostos sah sehr fröhlich aus. Er flüsterte Valia etwas ins Ohr, was sie zum Lächeln brachte. Dann tanzten sie miteinander.
Vom Platz stieg ein nettes, kleines Feuerwerk auf. Ein kleiner Schauder rieselte Lena über den Rücken. In gewisser Weise, dachte sie, bringen einen diese Kleinstadt-Feuerwerke am meisten zum Staunen. Im Unterschied zu den Riesenfeuerwerken vom Typ Disney World waren diese selbst gebastelten von einer rührenden Unbeholfenheit, auf die man sich sofort einlassen konnte. In ihnen zeigten sich die Mühe und die Gefahr, die bei eleganteren Vorführungen verborgen blieben.
Kostos wirbelte Grandma im Kreis herum. Lachend schaffte sie es, auf den Beinen zu bleiben. Er beendete den Tanz mit einer so dramatischen Verbeugung, dass er Grandma in der Mitte förmlich auseinander brach. Lena hatte ihre Großmutter noch nie so vergnügt erlebt.
Lena betrachtete die Gesichter der Mädchen, die am Rand standen. Es war deutlich zu erkennen, dass Kostos bei den wenigen jungen Mädchen, die es in Oia gab, hoch im Kurs stand. Aber stattdessen tanzte er mit sämtlichen Großmüttern, mit all den Frauen, die ihn großgezogen und ihn mit der Liebe überschüttet hatten, die sie ihren fernen Kindern und Enkeln nicht geben konnten. Es war eine bittere Tatsache des Insellebens, dass ganze Generationen
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