Eine geheimnisvolle Lady
seine Fieberträume. Und im Lauf der langsamen Genesung begleitete sie ihn wie ein höhnischer, hinterlistiger Schatten.
Wenn er Dianas schönen verlogenen Geist nicht für immer aus seinem Leben verbannen konnte, musste er die Hoffnung aufgeben, irgendwann wieder ein ganzer Mann zu werden.
Auf dem Schreibtisch türmte sich die Korrespondenz, auf den Wandtischen lagen weitere Papiere. Auf Anordnung der Ärzte hatte das Personal Briefe und Zeitungen von ihm ferngehalten. Aber nun war es höchste Zeit, dass er seine Pflichten wieder übernahm. Wenn er sein Gehirn damit beschäftigte, würde die Erinnerung an Diana verblassen. Und dann würde er sie nicht mehr im Wachen oder im Schlaf hassen – und gleichzeitig heiß begehren.
Beinahe wäre es der Frau gelungen, ihn zu vernichten. Aber er wollte verdammt sein, wenn er ihr diesen Triumph gönnte.
Mit einer entschlossenen Geste griff er nach dem ersten Stapel seiner zahlreichen Briefe. Sein Bein protestierte gegen diese abrupte Bewegung, und er streckte es unter dem Schreibtisch aus, um das steife Gefühl zu mildern. In jedem Muskel spürte er die Schmerzen. Als sich der Schleier vor seinen Augen auflöste, begann er die Post zu sortieren.
Nach einer Stunde sah er doppelt, das Bein schmerzte wie die Hölle, und sein Kopf fühlte sich an wie ein Topf voller Erbsensuppe. Bald würde er seine Bemühungen aufgeben müssen. Aber vorerst wollte er nicht ins Gefängnis seines Schlafzimmers zurückkehren, und so griff er nach einem letzten Stapel.
Dabei fiel ein Brief auf die Schreibunterlage, ein Brief mit einer unbekannten weiblichen Handschrift.
Gegen seinen Willen schlug sein Herz wie rasend. Was zum Teufel war los mit ihm? Erregte ihn allein schon die Möglichkeit, Diana könnte ihm geschrieben haben? Er verachtete diese Hure. Wahrscheinlich war sie längst mit Burnley verheiratet und erduldete als Ehefrau dieses Schurken ein Martyrium wie alle Verdammten in der Hölle. Sie verdiente nichts anderes.
Trotzdem bebte seine Hand, als er diesen Brief umfasste.
Von einem Sockel in einem Bücherregal starrten die großen Alabasteraugen des römischen Frauenkopfs herab und verspotteten ihn. Mit einiger Mühe zügelte er den Drang, die schöne kleine Skulptur zu zertrümmern, und konzentrierte sich wieder auf den Brief.
Von mehreren Frauen könnte er stammen. Von einer seiner Cousinen. Oder von einer ehemaligen Geliebten. Oder von jemandem, der um seine Hilfe bei einer Wohlfahrtsaktion oder seinen Einsatz für eine Reform im Parlament bat.
Obwohl er sich diese vernünftigen Möglichkeiten vorsagte, schlug das Herz ihm bis zum Hals. Und – zum Teufel mit ihm – als er das Siegel erbrach, zitterte seine Hand heftiger denn je.
Es dauerte eine Weile, bis seine Konzentration zurückkehrte. Automatisch schweifte sein Blick zur Unterschrift. Nein, diesen Brief hatte Diana nicht geschrieben. Selbst wenn sie es getan hätte, was könnte sie ihm mitteilen, das ihre Missetaten entschuldigen würde?
Nach einem tiefen Atemzug las er die Nachricht. Zu seiner Verblüffung stammte sie von Miss Smith. Nur zwei Zeilen. Diana würde am Mittwoch, den 24. Oktober 1827, um zehn Uhr morgens in St. Mark’s in Marsham mit Lord Burnley vermählt. Dann die Unterschrift.
Ashcroft prüfte das Datum – der Brief war drei Tage alt. Morgen war der 24. Oder heute, denn es war schon nach Mitternacht.
Sekundenlang kniff er die Augen zusammen, und der Schmerz in seinem Bein verebbte, bezwungen von der überwältigenden Erinnerung an Dianas Verrat. Genauso heftig wie vor zwei Monaten, auf jener schönen sommerlichen Lichtung, brach die Verzweiflung über ihn herein.
Warum hast du das getan, Diana? Warum?
Seit jenem Tag verfolgte ihn die Frage. Doch er wusste, warum sie ihn getäuscht hatte. Weil die geldgierige Schlampe den Titel einer Marchioness tragen und Cranston Abbey für ihr Kind verwalten wollte.
Sein Kind …
Aus mühsam errungener Gewohnheit versuchte er, den Gedanken an sein Kind zu verdrängen – so wie die Erinnerung an die Mutter des Babys. Solche Bemühungen führten fast nie zum Erfolg.
Anscheinend glaubte Miss Smith, es würde ihn interessieren, dass seine ehemalige Geliebte ihren Mitverschwörer heiratete.
Da täuschte sich Miss Smith. Diana Carrick sollte in der Hölle vermodern. Dieses verlogene Biest wollte er nie wiedersehen, solange er lebte.
Wütend zerknüllte er den Brief und warf ihn ins Kaminfeuer.
28
An Dianas Hochzeitsmorgen herrschte helles, sonniges,
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