Eine geheimnisvolle Lady
Mittelweg, der nur ihn zufriedenstellte – seine habgierigen Verwandten nicht.
Vielleicht inspirierte ihn seine unglückliche, einsame Kindheit zu seinem Einsatz für die Armen, Entrechteten. Hungrig oder obdachlos war er nie gewesen, aber er verstand, was andere Entbehrungen bedeuteten.
Er schlenderte zu den offenen Fenstern. Noch immer brütete drückende Hitze über der Stadt. Der Champagner in seinem Glas war schal und lauwarm, wenn auch von wesentlich besserer Qualität als das Gebräu, das er am Vorabend auf dem Kurtisanenball getrunken hatte. Vor der Begegnung mit Diana. Bevor die Nacht Feuer gefangen hatte.
Es war beunruhigend, wie oft seine Gedanken zu der geheimnisvollen Verführerin und ihrem widersprüchlichen Benehmen schweiften. Jahrelang hatte er diesen drängenden Wunsch nicht verspürt, mit einer bestimmten Frau beisammen zu sein, und das war sehr angenehm gewesen. Aber Diana hatte seine seelischen Barrieren niedergerissen. Seit der letzten Nacht ging sie ihm nicht mehr aus dem Sinn. Ob es klug war, sie wiederzusehen? Daran zweifelte er. Aber sein Verlangen war stärker als sein Argwohn, nichts würde ihn von ihr fernhalten.
Nur eine leise Ahnung von den Gipfeln, die sie gemeinsam erstürmen könnten, hatte sie ihm geboten. Diese lockenden Höhen wollte er erklimmen und sich in wilder Leidenschaft verlieren. Denn was immer falsch an Diana sein mochte – ihre Glut war echt.
Großer Gott, das Zittern ihrer Erfüllung in ihr zu spüren, diese Vision trieb ihm den Schweiß auf die Stirn, und das lag nicht am schwülen Wetter.
Während das Stimmengewirr hinter ihm anschwoll und Josephine lauthals brüllte – wahrscheinlich die einzige ehrliche Gefühlsäußerung in diesem Raum –, überließ er sich wundervollen Plänen, die seine neue Geliebte betrafen.
In einer geschlossenen Kutsche neben dem dunkelgrünen Wasser des Serpentine überlegte Ashcroft, ob Diana ihn trotz der kurzen Bekanntschaft bereits um den Verstand gebracht hatte. Da saß er und wartete auf eine Frau. Noch nie hatte er auf eine Frau gewartet.
Zum zehnten Mal in dieser halben Stunde konsultierte er seine gravierte goldene Taschenuhr. Seit dem letzten Mal hatten sich die Zeiger kaum bewegt. Zehn vor drei. Schon um zwei war er hier gewesen. Lächerlich, beschämend. Obwohl er gewusst hatte, so früh würde er sie nicht antreffen.
Sein rationaler Verstand hasste solche Spiele, solche Geheimnisse. Verständlicherweise misstraute er Diana. Zu viele Fragen, zu wenig Antworten.
Und sein vernünftiges Ich verabscheute auch sein Verhalten in ihrer Nähe. Wenn es um Erotik ging, war er es nicht gewohnt, den Bittsteller zu mimen, nicht an unkontrollierte Gefühle gewohnt, so sehr er die köstliche Macht der Begierde auch genoss.
Stets eine Macht, der er entrinnen konnte … Würde er auch Diana entkommen? Er wusste es nicht. Und das irritierte ihn maßlos. Sein Selbsterhaltungstrieb drängte ihn, sofort aus dem Park zu verschwinden. Leider kümmerte sich seine Männlichkeit nicht um seinen Selbsterhaltungstrieb und wollte möglichst schnell zwischen ihren schlanken Schenkeln versinken.
Er schaute wieder auf seine Uhr. Verdammt, nur drei Minuten waren verstrichen. Wenn er auch nur halb bei Verstand wäre, würde er seinen Kutscher anweisen, nach Ashcroft House zurückzukehren. Dort würde er eine der vielen bereitwilligen Frauen einbestellen, die er kannte, und den schmerzlichen Frust bezwingen, den Madam Diana letzte Nacht verschuldet hatte.
Nur der Himmel allein wusste, warum er das nicht tat.
Aber er kannte ihren Geschmack, ihren Duft, und ein Ersatz würde nicht genügen – was ihm keineswegs gefiel. Das Leben war viel einfacher, wenn jedes Gericht auf der Speisekarte seinen Hunger stillen konnte.
Während seiner prägenden Jahre als unwillkommenes Mündel der Birchgroves hatte er gelernt, dass Wünsche unweigerlich zum Kummer führten. Deshalb war es besser, alles zu nehmen, was die Welt einem bot, und dann sofort weiterzugehen, bevor es zu einer Übersättigung kam.
Würde er der mysteriösen Diana irgendwann müde werden? Zweifellos.
Er warf wieder einen Blick auf seine Uhr. Kurz vor drei. Selbst wenn sie die Verabredung einhielt, würde sie sich verspäten. Weil sie ihn quälen wollte.
In ihren Reaktionen hatte er eine gewisse Feindseligkeit bemerkt, die ihn abstoßen müsste, aber die Faszination noch steigerte. In seinem Haus hatte sie ihn wie eine männliche Hure behandelt. Und letzte Nacht war sie zu erregt
Weitere Kostenlose Bücher