Eine geheimnisvolle Lady
Warum musste sie auf jede belanglose Berührung so empfänglich reagieren? Gab es keine Verteidigungsbarrieren? Würde sie in immer größere Schwierigkeiten geraten, wenn sie mit Ashcroft zusammen war?
»Das weiß ich.« Nachdenklich und geistesabwesend spielte er mit ihrem Ehering. »Du verwirrst mich. Ich verstehe nicht, was dich zu dieser Handlungsweise treibt.«
Ihre Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab. »Das sagte ich doch. Ich möchte Erfahrungen mit einem Mann sammeln, auf dessen Diskretion ich mich verlassen kann.« Daheim in Marsham hatte sie diese Erklärung glaubwürdig gefunden. Hier klang sie fadenscheinig und wenig überzeugend. Insbesondere nach allem, was geschehen war, als sie ihn in sich aufgenommen hatte … Dass er an ihr zweifelte, durfte sie nicht wundern. Sie war keine gute Lügnerin. Burnley hatte das beiseitegeschoben, so wie alle ihre Bedenken. Hätte er doch bloß auf sie gehört. In jeder Minute fühlte sie sich der Aufgabe, die er ihr gestellt hatte, weniger gewachsen.
Plötzlich hörte Ashcroft auf, sie gedankenverloren und fast zärtlich zu streicheln, und umfasste ihre Finger etwas fester. »Bist du verheiratet?«
Hielt er sie für eine Ehebrecherin? Sie versuchte, keinen Anstoß daran zu nehmen. Immerhin war sie ganz eindeutig eine Lügnerin und Betrügerin und jetzt auch noch eine Hure. Trotzdem erwiderte sie in etwas zu scharfem Ton: »Nein.«
»Lüg nicht, Diana.«
Erbost entriss sie ihm ihre Hand. »Wie ich bereits erklärt habe, bin ich verwitwet.«
Als hätte sie nichts gesagt, fuhr er fort: »Wenn du verheiratet bist, erklärt das sehr viel. Deine Weigerung letzte Nacht, mich in dein Haus mitzunehmen. Und deine Schuldgefühle nach unseren Aktivitäten hier in der Kutsche.«
Kurzfristig überlegte sie, ob die Erfindung eines Ehemanns eine kluge Taktik wäre, dann schüttelte sie den Kopf. »Glaub mir, Ashcroft, ich bin nicht verheiratet. Und wenn ich es wäre, was kümmert es dich? Du hattest genug verheiratete Liebhaberinnen.«
Ungehalten verkniff er die Lippen. »Irgendwo musst du üble Klatschgeschichten gehört haben.«
»Du bist weltbekannt«, konterte sie und kam sich schäbig vor. Während der kurzen ereignisreichen Bekanntschaft hatte sie herausgefunden, dass er keineswegs ein ausschweifender Lüstling war, der sich wahllos mit Frauen vergnügte.
»Anscheinend«, bestätigte er ungehalten. »Meine bisherigen Geliebten waren deutlich welterfahrener als du, Diana.«
Warum führten sie dieses groteske Gespräch? Hatte sie etwa das Recht, ihm moralische Vorhaltungen zu machen? »Du musst dich nicht entschuldigen.«
Wieder einmal hob er spöttisch die Brauen. »Das tat ich nicht.«
»Und ich bin nicht verheiratet.« In der Hoffnung, ihren schwindenden Mut zu stärken, nahm sie einen Schluck Wein. »Mein Ehemann …«
Abrupt verstummte sie und rang nach Fassung. Wann immer sie von William sprach, erwachte erneut die Verzweiflung, in die sie sein Tod gestürzt hatte. Wie konnte ein gesunder Mann von einem Tag auf den anderen an einer Fieberkrankheit sterben? Damals war auch Dianas Glaube an eine gütige Macht im Universum gestorben. Er hätte bei ihr bleiben müssen. Monatelang war sie in grauer Schwermut versunken. Weder ihr Vater noch Laura konnten neuen Lebensmut in ihr wecken. Nur die Pflichten, die sie mit Cranston Abbey verbanden, hielten sie noch aufrecht. Schließlich hatte ihr die Verwaltung des Landguts über den schlimmsten Kummer hinweggeholfen.
War damals die Saat ihrer Ambitionen aufgekeimt? Auf den ungeheuerlichen Gedanken, sie könnte eines Tages die Herrin der Ländereien werden, war sie nie gekommen – bis Burnley ihr seinen Plan unterbreitet und sie einen neuen Sinn in ihrem Leben gefunden hatte.
Nun zwang sie sich, die Worte auszusprechen, die Ashcrofts Neugier befriedigen würden.
»Vor acht Jahren ist mein Mann gestorben.«
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie einem intelligenten, einfühlsamen Liebhaber von ihrer Vergangenheit erzählen musste, dass sie nicht nur sein Bett teilen würde. Der Lord Ashcroft ihrer Fantasie hatte sich mit ihrem Körper begnügt und nicht an ihre Geheimnisse gerührt.
Seine Augen verengten sich. »Du bist absonderlich, Diana. Ich mag Absonderlichkeiten nicht.«
»Oh, tust du nicht?« Ihre Finger umklammerten den Becher etwas fester.
Er lachte kurz auf, als würde er sich gegen seinen Willen amüsieren. »Sagen wir, ich misstraue allem, was mir ungewöhnlich erscheint. Wie sehr ich dich
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