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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Euch darum. Nehmt meinen herzlichen Dank dafür.«
    »Was erwartet Ihr, Mr. Darnay?« fragte Mr. Carton, noch immer halb abgewandt.
    »Das Schlimmste.«
    »Das ist klug von Euch, denn der schlimme Ausgang hat die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Doch meine ich, das Abtreten der Geschworenen sei ein günstiges Zeichen.«
    Da Stehenbleiben in den Gängen des Saals nicht gestattet war, so hörte Jerry nichts weiter; er verließ sie, wie sie nebeneinander standen und von dem Spiegel über ihnen widergespiegelt wurden, beide sich so ähnlich an Gestalt und so unähnlich im Wesen. Anderthalb Stunden entschwanden schleppend in den von Dieben und Spitzbuben wimmelnden Gängen unten, obschon Hammelpastetchen und Ale mithalfen. Der heisere Bote hatte, nachdem er die eben genannte Stärkung eingenommen, auf einer unbequemen Bank Platz gefunden und war eingenickt, als ihn auf einmal ein Lärm wieder weckte und ein Menschenstrom, der die zum Gerichtssaale führenden Treppen hinanwogte, ihn mit sich fortriß.
    »Jerry! Jerry!«
    Mit diesem Rufe empfing ihn Mr. Lorry schon an der Tür.
    »Hier, Sir. Das hat Mühe gekostet, wieder hereinzukommen. Hier bin ich, Sir!«
    Mr. Lorry händigte ihm durch das Gedränge ein Blatt Papier ein.
    »Hurtig! Habt Ihr's?«
    »Ja, Sir.«
    Auf das Blatt war in Eile das Wort geschrieben: ›Freigesprochen.‹
    »Wenn er mich heute wieder hätte ausrichten lassen: ›Ins Leben zurückgerufen‹«, murmelte Jerry, indem er sich umwandte, »so würde ich verstanden haben, was er diesmal damit sagen will.«
    Er hatte keine Gelegenheit, noch etwas zu sagen oder auch nur zu denken, bis er Old Bailey hinter sich hatte, denn die Menge strömte mit solcher Gewalt nach, daß sie ihn fast über den Boden erhob. Das laute Summen drang auf die Straße hinaus, als ob die in ihrer Erwartung getäuschten Schmeißfliegen sich nach allen Richtungen zerstreuten, um ein anderes Aas zu suchen.
    Viertes Kapitel
    Glückwünsche
    Aus den schwach beleuchteten Gängen des Gerichtshofes suchte der letzte Rest des menschlichen Bratens, der da den ganzen Tag über geschmort hatte, hinauszukommen, als Doktor Manette, seine Tochter Lucie Manette, Mr. Lorry, der Verteidiger Mr. Stryver und dessen Adjunkt um den eben auf freien Fuß gesetzten Mr. Darnay herumstanden und ihm dazu Glück wünschten, daß er dem Tode entgangen sei.
    Es wäre auch bei weit hellerer Beleuchtung schwer gewesen, in Doktor Manette, seinem geistvollen Gesicht und seiner aufrechten Haltung den Schuhmacher aus dem Dachstübchen in Paris zu erkennen. Doch konnte niemand zweimal nach ihm hinsehen, ohne es wieder und wieder zu tun, selbst
wenn sich die Gelegenheit der Beobachtung auch nicht auf den wehmütigen Klang seiner leisen, ernsten Stimme und auf den Zug von Zerstreutheit ausdehnte, der manchmal ohne einen erkennbaren Grund sein Gesicht umwölkte. Während äußerliche Ursachen, sofern sie in Beziehung zu seiner langen Qual traten, wie zum Beispiel der Kriminalprozeß, stets diesen Zustand aus den Tiefen seiner Seele hervorriefen, konnte er auch von selbst entstehen und ein Düster über ihn hinbreiten, das für die mit seiner Geschichte nicht Bekannten so unbegreiflich war, als hätten sie im hellen Sonnenschein den Schatten der wirklichen, dreihundert Meilen entfernten Bastille auf ihn fallen sehen.
    Nur seine Tochter vermochte dieses finstere Brüten aus seiner Seele zu bannen. Sie war der goldene Faden, der ihn mit einer Vergangenheit jenseits und einer Gegenwart diesseits seines Elends in Verbindung brachte, und der Ton ihrer Stimme, das Leuchten ihres Antlitzes oder die Berührung ihrer Hand übte fast immer einen sehr wohltätigen Einfluß auf ihn aus. Freilich, unfehlbar war dieser Einfluß nicht, denn sie konnte sich mancher Anlässe erinnern, bei denen er nichts ausrichtete; doch kamen solche Anwandlungen jetzt nur noch selten und in so leichtem Grade vor, daß sie fast alles für überwunden hielt.
    Mr. Darnay hatte mit warmem Danke ihre Hand geküßt und sich dann an seinen Verteidiger gewendet, dem er gleichfalls aus tiefer Seele dankte. Mr. Stryver, ein Mann von wenig mehr als dreißig, obschon er um zwanzig Jahre älter aussah, war ein derber, stämmiger, lärmender, rotgesichtiger Mann, der nicht an übertriebenem Zartgefühl zu leiden schien, und hatte eine Art an sich, moralisch und physisch sich in Gesellschaften und Unterhaltungen hineinzudrängen, die ihm beim Vorwärtskommen in der Welt nicht schlecht zustatten kam.
    Er hatte

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