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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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brauchten, aber einige sorgsam ausgewählte Dinge für ihre Nachfolger zurückgelassen. Auf dem Tisch lagen noch Krümel verstreut, aber die wären gemeinsam mit den welken Blütenblättern bald weggewischt.
    Es war lange her, dass Eugenia einen Haushalt geführt hatte, aber die nikokyria , die Hausfrau, erwachte schnell wieder in ihr. Sie fand einen alten Besen, der an der Wand lehnte, und machte sich entschlossen an die Arbeit. Sie wollte jede Spur der früheren Bewohner tilgen. Vielleicht wäre sie eines Tages sogar in der Lage, alle Einrichtungsgegenstände durch eigene Sachen zu ersetzen. Obwohl sie fast schon vergessen hatte, wie sich das anfühlte, summte sie bei der Arbeit vor sich hin.
    Im oberen Stockwerk hatten die Zwillinge einen Schatz gefunden. Irgendwelche abgelegten Kleider und ein von Mot ten zerfressener Fez luden zu Verkleidungsspielen ein, und laut kreischend vor Vergnügen tauchten sie in voluminösen Gewändern unten an der Treppe auf. Mit ernster Miene – Maria mit dem türkischen Hut und Sofia mit einem seidenen Turban auf dem Kopf – begannen sie vor ihrer Mutter wie Sultane auf und ab zu paradieren, und alle drei hatten Mühe, ihr Kichern zu unterdrücken.
    Katerina hingegen blieb still in der Ecke sitzen. Sie hatte keine glücklichen Erinnerungen an Leute, die solche Kleider trugen.
    Sie hatte die Umrisse eines Schiffs mit einem Kapitän und zwei Passagieren darauf neben sich in den Staub gemalt. Es waren ihre Mutter und ihre kleine Schwester. Die Erinnerung an sie ließ sie keinen Moment mehr los.

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    I n ihrer ersten Nacht in der Irinistraße kuschelten sie sich auf der einen Matratze aneinander. Inzwischen waren sie so sehr an die tröstliche Nähe gewöhnt, an die Wärme und die Atemzüge der anderen, dass sie es gar nicht mehr anders wollten.
    Am folgenden Morgen wachte Katerina noch vor Tagesanbruch auf und sah eine Silhouette durchs Halbdunkel huschen. Sie setzte sich auf.
    Â»Kyria Eugenia!«, fragte sie flüsternd. »Sind Sie das?«
    Der Schatten bewegte sich auf das Bett zu.
    Â»Ich will versuchen, etwas Brot für uns aufzutreiben.«
    Â»Darf ich mitkommen?«, fragte Katerina leise. »Ich kann jetzt sowieso nicht mehr einschlafen.«
    Â»Ja, aber du musst mucksmäuschenstill sein. Ich will nicht, dass die Zwillinge aufwachen.«
    Katerina glitt aus dem Bett, zog die Schuhe an und folgte Eugenia zum Haus hinaus.
    Es war praktisch unmöglich, sich in Thessaloniki zu verlaufen, und Eugenia ging einfach ihrer Nase nach zum Hafen hinunter. Das Meer lag am Fuß des Hügels, die Altstadt war oben, und alles andere dazwischen.
    Als sie ihr Ziel, das Zollgebäude, erreichten, stand dort bereits eine Menschenmenge, aber sie war entschlossen zu warten, bis sie einen Beamten sprechen konnte. Sie hatte vier hungrige Mäuler zu stopfen und musste herausfinden, ob jemand ihr helfen konnte.
    Jeder, der sich für die Flüchtlinge engagierte, tat dies aus Gutherzigkeit, und auch der Mann, der die Leitung innehatte, war freundlich und voller Anteilnahme. Er erklärte ihr, dass sie jeden Tag mit ihrer Familie herkommen könne, um Spenden abzuholen und sich nach Arbeit umzusehen. Es gebe viele Möglichkeiten in Fabriken und in der Tabakindustrie.
    Eugenia wollte ihm sagen, dass ihr keines von beidem be hagte. Bei der Aussicht, Tabakblätter zu sortieren, sank ihr der Mut. Sie wusste nicht, ob sie das Recht hatte, eine solche Arbeit abzulehnen, und wollte keinesfalls undankbar erscheinen. Doch im Moment war das Wichtigste, dass draußen auf der Straße Milch und Gemüse verteilt wurden, also deckte sie sich damit ein, bevor sie wieder in die Irinistraße zurückeilten.
    Unterwegs kamen sie an einer Reihe kleiner Läden vorbei. In einem wurden Kleider-, in einem anderen Polsterstoffe zum Kauf angeboten, und im Schaufenster eines dritten stapelten sich Wollstränge bis an die Decke. Als sie all die bunte Wolle sah, dachte sie zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder an ihren Webstuhl, den sie zurückgelassen hatte, und Hoffnung keimte in ihr auf. In ihrer alten Heimat war sie eine tüchtige Weberin gewesen, und vielleicht könnte sie an diesen Teil ihres früheren Lebens wieder anknüpfen. Sie blieb einen Moment stehen, um den Anblick zu genießen, ein wenig zu träumen und sich vorzustellen, welche Farben sie kaufen würde. Außer der Wolle sah sie noch etwas in

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