Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)
meinem Stuhl, murmelte ein »Gute Nacht« und wollte nur schnell aus dem Raum, aber da standen Schwester Maria und der Doktor auf, um mich zum Abschied in den Arm zu nehmen.
»Ich wollte dir eben am Tisch nur ein Stück von meinem Brot rüberreichen«, sagte Bernhard auf dem Weg in unser Zimmer. Jetzt schämte ich mich, dass ich ihn geschlagen hatte. Aber es ärgerte mich auch, dass ich wegen ihm kein Brot hatte verstecken können, und ich sagte nichts mehr dazu. Ich sehnte mich nach Rückzug, war froh, ins Bett gehen zu dürfen. Und während ich mich in Kleid und Strümpfen bereits unter meine Decke kuschelte, zog sich Bernhard aus, legte seine Kleidung ordentlich über einen Stuhl und holte schließlich ein langes weißes Kleid unter seinem Oberbett hervor. Wollte er das zum Schlafen anziehen? Ich hätte beinahe losgeprustet, aber da ging die Tür auf, und die Pflegemutter kam herein.
»Na, Monika, hast du dein Nachthemd gefunden?« Tatsächlich, auch in meinem Bett lag solch ein weißes Kleid. »Ich nehme es gern als Geschenk«, sagte ich, »aber ich möchte meine Sachen lieber nicht ausziehen. Über so einem Stuhl kann sie doch jeder klauen.«
»Aber hier bestiehlt dich doch keiner, Kind.« Es brauchte noch einiges gutes Zureden, bis sie mich endlich überredet hatte.
Nicht nur die Sorge um mein Kleid ließ mich, nachdem die Pflegemutter das Licht gelöscht hatte, im Bett hin und her wälzen. Ein leises Rumoren in meinem Bauch hielt mich wach. Und selbst als im gesamten Haus Nachtruhe eingekehrt war, lag ich mit offenen Augen in meinem Bett. Es rumpelte in meinem Bauch, und ich spürte, dass ich die Verdauung nicht mehr lange zurückhalten konnte. Aber in den Topf mit dem Blumenmuster durfte ich nur Pipi machen … Ich versuchte an etwas anderes zu denken, lauschte Bernhards ruhigem Atmen, starrte auf den schmalen Lichtschimmer, der durch den Schlitz zwischen den Vorhanghälften am Fenster fiel. Immerhin konnte ich die Umrisse der Möbel erkennen. Doch das Poltern in meinen Gedärmen wurde heftiger. Warum hatte mir niemand gesagt, wohin ich mein Aa machen durfte? Fieberhaft suchte ich nach einer Lösung. Ich kroch aus dem Bett und schlich durch das Zimmer.
»Monika?«, war auf einmal Bernhards Stimme zu hören.
»Ja?«
»Was machst du denn da?«
»Ich … ich … ich muss mal … Aa.«
»In der Küche ist ein Eimer, warte, ich zeig ihn dir.«
Hell schien der Mond durch das große Fenster. »Hier kannst du reinmachen. Und da ist Papier …« Bernhard hatte einen Eimer mit Deckel hinter der Tür hervorgezogen und einen Stapel zerrissene Zeitung danebengelegt.
»Danke. Geh ruhig wieder schlafen. Ich finde allein zurück«, sagte ich. Ich wollte nicht, dass er blieb.
Nachdem ich mein großes Geschäft erledigt hatte, entdeckte ich ein Waschbecken an der Wand, wie ich es aus dem Kinderheim kannte. Dort war es Pflicht gewesen, sich nach jedem Toilettengang die Hände zu waschen. Also stieg ich auf den Schemel, der unter dem Waschbecken stand, und drehte den Wasserhahn auf. Das Wasser spritzte in alle Richtungen.
»Was spielst du denn mitten in der Nacht mit dem Wasser? Ab, in dein Bett!« Ich hatte den Pflegevater nicht kommen gehört und fiel vor Schreck fast von dem Hocker.
»Ich … ich …« Mehr brachte ich nicht heraus, stattdessen klapperte ich vor Angst mit den Zähnen. So schnell ich es mit meinem wehen Fuß schaffte, humpelte ich ins Bett zurück und zog mir die Decke über den Kopf.
»Monika, aufwachen.« Das war nicht Regina, die mich da weckte, und auch nicht Schwester Maria. War das eine Jungenstimme gewesen? Ich blinzelte gegen die Müdigkeit an und als ich Bernhard an meinem Bett stehen sah, fiel mir wieder ein, wo ich war. »Wir müssen uns waschen, das Frühstück ist gleich fertig«, sagte er. »Nimm deine Kleider mit.«
Ich schreckte hoch, denn jetzt fiel mir auch wieder ein, dass ich Kleid, Leibchen und gestrickte Strümpfe über den Stuhl am Fußende des Bettes gehängt hatte. Erleichtert, dass alles noch da war, ergriff ich die Sachen und folgte Bernhard zum Badezimmer, in dem es zu meiner Freude auch eine Badewanne gab. Aber jetzt hieß es, vor das Waschbecken und Zähneputzen, wie Bernhard vorgab, und schon steckte ich mir den Zeigefinger in den Mund. »He, was machst du da? Hier ist eine Zahnbürste und Zahnpasta. Guck mal, so geht das.«
Ich nahm das Bürstchen an dem langen Stiel, und Bernhard tat etwas von der weißen Creme darauf. »Das schmeckt aber eklig«, sagte ich mit
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