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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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Hause bei Mama auch so ein Bett gehabt hatte? Bestimmt war es darin ganz weich und kuschelig. Gern wäre ich gleich darauf gehopst, um es auszuprobieren, wenn meine Blase nicht so gedrückt hätte. »Habt ihr hier auch eine Toilette?«
    Bernhard kam zu mir herüber und zog einen mit gelben Blumen bemalten Porzellantopf unter meinem Bett hervor. »Hier kannst du reinmachen. Aber nur Klein.«
    »Ich muss aber Pipi …«
    Bernhard gab mir den Topf. »Pipi ist doch Klein«, sagte er und grinste.
    Während es in den Topf plätscherte, erzählte ich Bernhard von dem Klostuhl in der Baracke und wie wacklig er gewesen war. »Habt ihr Kinder alle ins Stroh gepinkelt? Und auch Groß da rein gemacht? Das … das muss doch gestunken haben …«
    »Ja, und wie …«
    Bernhard verzog angewidert das Gesicht, was sehr komisch aussah, sodass ich lachen musste.
    »Kinder, essen kommen!«, rief Bernhards Mutter über den Flur, und ich wollte sogleich aufspringen, doch der Topf blieb an meinem Po hängen. Schnell setzte ich mich mit dem Topf unter mir wieder hin. Jetzt prustete Bernhard. »Du … du musst den Topf … festhalten«, stotterte er vor Lachen.
    »Bernhard!« Harsch schallte die Stimme des Vaters zu uns herüber. »Kommt zu Tisch!«
    »Beeil dich«, sagte Bernhard. »Nicht, dass Vati böse wird, weil wir trödeln.«
    Durch die weit geöffnete Flügeltür im Herrenzimmer gelangten wir in einen Raum mit einem großen Esstisch in der Mitte und vielen Stühlen drumherum. Auch hier ließ ein mächtiger Kronleuchter unter der Decke den ganzen Raum erstrahlen. In einem der beiden großen Fenster, die von schweren Samtvorhängen umrahmt waren, stand eine Kerze, deren Flamme sich in der abenddunklen Scheibe spiegelte.
    »Komm zu mir herum, Monika«, hatte Schwester Maria von der anderen Seite des Tisches gerufen, als sie meinen verlorenen Blick bemerkt hatte. Ich nahm den weiteren Weg um den Tisch herum, um nicht am Pflegevater vorbeizumüssen, dann ließ ich mir von Schwester Maria auf den Stuhl hinaufhelfen. Auch diese Stühle waren alle mit dunkelrotem Leder bezogen, und es dauerte eine Weile, bis ich Halt auf dem erhabenen Polster gefunden hatte. Am liebsten wäre ich mit den Füßen auf den Stuhl gestiegen, um besser sehen zu können, was es zu essen gab. »Du möchtest bestimmt eine Scheibe Brot und etwas Milch, Monika, ja?«, fragte Schwester Maria.
    »O ja, Brot und Milch!«, rief ich mit grummelndem Magen. Dann sah ich, wie Frau Koehler Schwester Maria den Brotkorb reichte. Wie gern hätte ich selbst zugegriffen und mir gleich mehrere Scheiben genommen! Wer wusste schon, wann es das nächste Mal etwas zu essen gab? Die Hungersnot der letzten Jahre bohrte mir immer noch Löcher in den Bauch, und mit dem aufregenden Gefühl, bald etwas zu essen zu bekommen, wallte gleichzeitig Übelkeit in mir auf. Während sich nun mein Magen auf das bevorstehende Essen und das mögliche Erbrechen danach vorbereitete, plagten meinen Kopf die Fragen: Wie viel kann ich essen, ohne dass ich es wieder hinauswürgen muss? Wie stelle ich es an, heimlich etwas Brot einzustecken, damit ich die nächsten Tage nicht hungern muss?
    »Iss schön langsam.« Schwester Maria klang besorgt.
    »Ich weiß selbst, dass ich langsam essen muss«, gab ich trotzig zurück. Ich fühlte mich ertappt. Und es fiel mir tatsächlich unendlich schwer, mich zu beherrschen, während ich etwas von der Brotscheibe auf meinem Teller abriss, um es mir scheinbar gleichmütig in den Mund zu schieben, obwohl ich eigentlich nur auf den passenden Augenblick lauerte, in dem sich die Erwachsenen angeregt unterhielten, um etwas von dem Brot unter dem Tisch verschwinden zu lassen. Endlich kam dieser Moment, und ich musste das Brotstück nur noch in meiner Unterhose verstauen. Nervös nestelte ich an meinem Kleid, als ich plötzlich meinte, Bernhards Blick zu spüren. Er saß gleich zu meiner Rechten, doch seine Anwesenheit war mir völlig entfallen, so sehr war ich auf die anderen am Tisch konzentriert gewesen. Und tatsächlich, Bernhard musste den heimlichen Brotklau wachsam verfolgt haben, denn jetzt sah ich, wie sich seine Hand unter dem Tisch meiner mit dem Brotklumpen näherte. Und so war es gleich am Ankunftsabend in meinem neuen Zuhause zum ersten Zwischenfall gekommen.
    »Am besten, die Kinder gehen jetzt zu Bett«, sagte der Pflegevater nach dem Essen, und schon sprang Bernhard auf und gab zuerst den Gästen, dann seinen Eltern höflich die Hand. Ich hingegen rutschte von

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