Eine Handvoll Worte
ihm zu gehen. Scheidung war damals etwas ganz anderes, Ellie. Furchtbar. Der Name wurde in den Schmutz gezogen. Ich wusste, mein Mann würde mich vernichten, wenn ich es versuchte. Und ich konnte Esmé nicht verlassen. Er – Anthony – hatte sein eigenes Kind im Stich gelassen, und ich glaube, das hat er nie richtig verwunden.«
»Also haben Sie Ihren Mann tatsächlich nie verlassen?« Ellie spürt, wie Enttäuschung in ihr aufkeimt.
»Doch, dank des Ordners, den Sie gefunden haben. Er hatte so eine komische alte Sekretärin, Miss Dingsda.« Sie verzieht das Gesicht. »Ich konnte mich nie an ihren Namen erinnern. Ich nehme an, sie war in ihn verliebt. Und dann hat sie mir aus irgendeinem Grund die Mittel in die Hand gegeben, ihn zugrunde zu richten. Sie wusste, er konnte mir nichts antun, sobald ich die Ordner hatte.«
Sie beschreibt die Begegnung mit der namenlosen Sekretärin, den Schock ihres Mannes, als sie ihm in seinem Büro offenbarte, was sie wusste.
»Die Asbestordner.« In Ellies Wohnung hatten sie so harmlos gewirkt, ihre Macht durch Alter und Rückschau gedämpft.
»Natürlich wusste damals niemand etwas über Asbest. Wir hielten ihn für wunderbares Material. Festzustellen, dass Laurences Firma so viele Menschenleben zerstört hatte, war ein furchtbarer Schock. Deshalb habe ich die Stiftung gegründet, als er starb. Um den Opfern zu helfen. Hier.« Sie greift in eine Schublade und zieht eine Broschüre heraus. Darin wird detailliert über eine Prozesskostenhilfe für Menschen berichtet, die infolge ihrer Arbeit an einem Pleuramesotheliom erkrankt sind. »Jetzt ist nicht mehr viel Geld im Fonds, aber wir bieten noch immer Rechtshilfe an. Ich habe Freunde in dem Beruf, die ihre Dienste kostenlos anbieten, hier und im Ausland.«
»Haben Sie trotzdem das Geld Ihres Mannes bekommen?«
»Ja. Das war unsere Abmachung. Ich habe seinen Namen behalten und wurde zu einer jener ziemlich zurückgezogen lebenden Frauen, die ihre Männer nie zu irgendetwas begleiteten. Alle nahmen an, ich sei aus der Gesellschaft ausgeschieden, um Esmé großzuziehen. Damals war das nicht unüblich, verstehen Sie. Er hat einfach zu allen gesellschaftlichen Anlässen seine Geliebte mitgenommen.« Sie lacht und schüttelt den Kopf. »Zu der Zeit hat es die erstaunlichste Doppelmoral gegeben.«
Ellie stellt sich vor, wie sie bei einer Buchpräsentation an Johns Arm erscheint. Er hat immer sorgfältig darauf geachtet, sie in der Öffentlichkeit nicht zu berühren, keinen Hinweis auf ihre Beziehung zu geben. Insgeheim hat sie gehofft, dass man sie dabei erwischte, wie sie sich küssen, oder dass ihre Leidenschaft so offensichtlich ist, um vernichtenden Gerüchten Stoff zu liefern.
Sie schaut auf und stellt fest, dass Jennifer Stirling sie betrachtet. »Möchten Sie noch Kaffee, Ellie? Ich gehe davon aus, dass Sie es nicht eilig haben.«
»Nein. Das wäre wunderbar. Ich möchte wissen, was passiert ist.«
Jennifers Ausdruck verändert sich. Das Lächeln verblasst. Kurzes Schweigen tritt ein.
»Er ist in den Kongo zurückgekehrt«, sagt Jennifer. »Er reiste immer an die gefährlichsten Orte. Damals wurde den Weißen dort Schlimmes angetan, und ihm ging es nicht sonderlich gut …« Sie schien ihre Worte nicht mehr an Ellie zu richten. »Männer sind häufig viel zerbrechlicher, als sie scheinen, nicht wahr?«
Ellie verdaut das und versucht, die bittere Enttäuschung nicht zuzulassen, die diese Information in ihr hervorruft. Das ist nicht dein Leben, sagt sie sich mit Nachdruck. Das muss nicht deine Tragödie sein. »Wie hieß er? Ich vermute, nicht Boot.«
»Nein. Das war unser kleiner Scherz. Haben Sie Evelyn Waugh gelesen? Sein richtiger Name war Anthony O’Hare. Eigentlich ist es merkwürdig, Ihnen das alles nach so langer Zeit zu erzählen. Er war die Liebe meines Lebens, dennoch habe ich keine Fotos von ihm, ein paar Erinnerungen. Wären meine Briefe nicht, hätte ich gedacht, dass ich mir das Ganze nur eingebildet habe. Deshalb ist es so ein Geschenk, dass Sie sie mir zurückgebracht haben.«
Ellies Kehle schnürt sich zu.
Das Telefon klingelt und reißt sie aus ihren Gedanken.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagt Jennifer. Sie geht in den Flur, hebt den Hörer ab, und Ellie hört sie antworten, ihre Stimme sogleich ruhig, durchtränkt von professioneller Distanz. »Ja. Ja, das machen wir noch immer. Wann wurde die Diagnose gestellt? … Es tut mir so leid …«
Ellie kritzelt den Namen auf ihren Notizblock und steckt
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