Eine Handvoll Worte
provisorische Bar und nahm mit einer Grimasse einen Pappbecher entgegen, in dem vermutlich Whisky war. Er trank ihn in einem Zug leer und verlangte noch einen. Nach einem dritten nickte er den Umstehenden zu und ging in sein Büro.
Moira suchte sich einen Weg durch das Gedränge. Es war Viertel vor elf. Die Musik hatte aufgehört, und die Ersten brachen nach Hause auf. Die nicht gingen, begaben sich offensichtlich woanders hin, wo sie unbeobachtet waren. Hinter dem Mantelständer küsste Stevens die Rothaarige aus dem Schreibzimmer, als könnte niemand sie sehen. Der Rock der jungen Frau war halb die Oberschenkel hinaufgerutscht, und seine dicklichen Finger zupften an den fleischfarbenen Strumpfhaltern, die jetzt zu sehen waren. Moira stellte fest, dass der Junge aus der Poststelle nicht zurückgekommen war, nachdem er Elsie Machzynski zu einem Taxi gebracht hatte, und sie fragte sich, was sie wohl später zu Elsie sagen würde, um sie wissen zu lassen, dass sie es mitbekommen hatte, auch wenn es sonst niemand bemerkt hatte. Waren denn alle außer ihr von Fleischeslust besessen? Waren die förmlichen Begrüßungen, die höflichen Gespräche im Alltag bloß eine Tarnung für eine bacchanalische Natur, die ihr fehlte?
»Wir gehen in den Cat’s Eye Club. Hast du Lust mitzukommen, Moira? Dich ein bisschen gehen zu lassen?«
»Oh, die kommt nicht mit«, sagte Felicity Harewood derart herablassend, dass Moira einen Moment lang dachte, sie könnte alle überraschen und sagen: »Ja, ich würde tatsächlich gern mitkommen.« Aber das Licht in Mr Stirlings Büro brannte. Moira tat, was jede andere verantwortungsbewusste persönliche Assistentin eines Geschäftsführers tun würde. Sie blieb da, um aufzuräumen.
* * *
Um kurz vor ein Uhr war sie damit fertig. Sie hatte nicht alles allein gemacht: die Neue aus der Buchhaltung hielt ihr eine Abfalltüte auf, als sie die leeren Flaschen einsammelte, und der Verkaufsleiter, ein großgewachsener Südafrikaner, half ihr beim Einsammeln der Pappbecher und sang lauthals an seinem Platz in der Damengarderobe. Schließlich war nur noch Moira übrig, scheuerte an den Flecken auf dem Linoleum, die noch zu entfernen waren, und benutzte Kehrblech und Handfeger, um die Chips und Erdnüsse aufzufegen, die zwischen die Fliesen getreten worden waren. Die Männer konnten die Schreibtische zurückstellen, wenn sie ins Büro kamen. Bis auf ein paar flatternde Luftschlangen sah alles wieder fast ordnungsgemäß aus.
Sie warf einen Blick auf den ramponierten Weihnachtsbaum, dessen Dekoration zerbrochen war oder fehlte, und den kleinen Briefkasten, der ziemlich eingedrückt war, nachdem sich jemand daraufgesetzt hatte, das Krepppapier schälte sich von den Seiten ab. Sie war froh, dass ihre Mutter nicht mehr lebte, um mit ansehen zu müssen, wie sorglos ihre Kugeln zur Seite geworfen worden waren.
Sie packte die letzte gerade ein, als sie Mr Stirling erblickte. Er saß auf seinem Lederstuhl, den Kopf auf beide Hände gestützt. Auf dem Tisch neben der Tür standen die Getränkereste, und sie goss spontan zwei Fingerbreit Whisky ein. Sie durchquerte das Büro und klopfte. Er trug seine Krawatte noch immer. Förmlich, selbst zu dieser Stunde.
»Ich habe bloß aufgeräumt«, sagte sie, als er sie anstarrte. Plötzlich war sie verlegen.
Er schaute aus dem Fenster, und ihr wurde klar, dass er sich ihrer Anwesenheit nicht bewusst gewesen war.
»Sehr freundlich von Ihnen, Moira«, sagte er leise. »Vielen Dank.« Er nahm ihr den Whisky aus der Hand und trank, diesmal langsam.
Moira nahm die eingefallenen Gesichtszüge ihres Chefs in sich auf, das Zittern seiner Hände. Sie stand an der Schreibtischecke und war sich ausnahmsweise einmal sicher, dass sie das Recht hatte, einfach nur da zu sein. Auf seinem Schreibtisch lagen in ordentlichen Stapeln die Briefe, die sie am Nachmittag zur Unterschrift hinterlegt hatte. Das schien eine Ewigkeit her zu sein.
»Möchten Sie noch einen?«, fragte sie, als er ausgetrunken hatte. »In der Flasche ist noch etwas.«
»Ich nehme an, ich hatte reichlich.« Ein längeres Schweigen trat ein. »Was soll ich machen, Moira?« Er schüttelte den Kopf, als befände er sich mitten in einem inneren Streit, den sie nicht hören konnte. »Ich gebe ihr alles. Alles. Ihr hat nie etwas gefehlt.«
Die Stimme versagte ihm.
»Es heißt, alles verändere sich. Frauen wollen etwas Neues … Der Himmel weiß was. Warum muss sich alles verändern?«
»Nicht alle Frauen«, sagte
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