Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
Narbe, sagte entschieden: »Nun komm, Antonia. Simple Mathematik genügt, um deinen Vorwurf zu entkräften. Wir haben der Lordschaft mitgeteilt, was wir zu sagen haben, und es ist Zeit, zu gehen.«
Nach kurzem Zögern stand Lady Taylor auf. Obwohl Julianne bezweifelte, dass das selten passierte, schien sie über die Zurechtweisung ehrlich verärgert. Ihre olivenfarbene Haut wurde rot. »Natürlich.« Sie neigte den Kopf. »Lady Longhaven? Es war schön, Euch zu sehen.«
Im nächsten Augenblick war Julianne mit Michael allein. Nur Chloe war bei ihnen, die sich stumm wie immer an ihre Hand klammerte. »Ich habe euch gestört«, sagte sie möglichst neutral. »Zu meiner Verteidigung kann ich wohl nur vorbringen, dass ich dachte, hier sei niemand. Sie ist heute früh aufgewacht.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Sie wollten ohnehin gerade gehen.«
Julianne wollte sich wirklich nicht mit ihm streiten, und sie bezweifelte, ob es überhaupt möglich war, mit Michael zu streiten. Aber sie wollte es vor allem nicht in Gegenwart der kleinen Chloe tun, die mit weit aufgerissenen Augen zu dem Mann aufblickte, der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand.
In gewisser Weise konnte Julianne es ihr nicht verdenken, dass sie eingeschüchtert war. Er wirkte in der schlichten Bibliothek sehr imposant. Er war ganz in Grau und Schwarz gekleidet, und sein braunes Haar hatte er sich aus dem Gesicht gekämmt. Die Augen allerdings … Die Augen waren undurchdringlich.
Er verhielt sich allzu oft so undurchdringlich, während sie dies überhaupt nicht beherrschte.
Aber auch wenn ihr einige Fragen auf der Seele brannten – berechtigte Fragen, übrigens! –, war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Nicht, so lange Chloes kleine Hand in ihrer ruhte. Obwohl sie keine Erfahrung mit kleinen Kindern hatte, drängte sich Julianne der Verdacht auf, dass das Mädchen mehr verstand, als man aufgrund seines Alters glaubte.
Die Ereignisse des Vortags waren nicht besonders vielversprechend gewesen, und Julianne hatte durchaus Verständnis, dass Chloe vor Erschöpfung fast augenblicklich eingeschlafen war. Sie hatte derweil eine unruhige Nacht hinter sich, und als sie am Morgen im Spiegel die leichten Schatten unter ihren Augen gesehen hatte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass auch dieser Tag nicht allzu leicht werden würde. Sie kniete sich neben Chloe und flüsterte ihr verschwörerisch zu: »Liebling, das ist dein Onkel Michael.«
Wie merkwürdig, mit wenigen einfachen Worten einen Mann vorzustellen, der so beängstigend war, da er seine Gefühle strikt kontrollierte. Dieses Mal jedoch konnte sie eine Reaktion sehen. Es stand für sie außer Frage, dass er verblüfft war.
Es dauerte einen Moment, ehe er leise sagte: »Guten Morgen, Chloe.« Dann wandte er sich wieder an Julianne. »Du hast also etwas Anständiges zum Anziehen für sie gefunden.«
»Meine Zofe hat mir erzählt, die Köchin habe eine Enkelin in ihrem Alter. Sie hat gerne ausgeholfen.«
»Wenn bereits so viele von der Dienerschaft Bescheid wissen, bin ich nur froh, dass ich die Zofe meiner Mutter gebeten habe, mich zu informieren, sobald sie aufsteht. Ich möchte es ihr gerne erklären, bevor die Tratschereien des Personals an ihr Ohr dringen.« Er verzog unbehaglich den Mund. »Ich frage mich, ob schon das Gerücht umgeht, dass ich der Vater bin.«
»Ich habe Lady Taylors Reaktion bemerkt. Ich muss zugeben, dass man sie für deine Tochter halten könnte. Ist mir bisher gar nicht in den Sinn gekommen.« Julianne richtete sich auf. Sie versuchte, möglichst unbeteiligt zu klingen.
»Mein Ruf ist irgendwie nicht so makellos wie der von Harry. Sogar mich hat diese Indiskretion seinerseits überrascht«, erklärte er. »Aber ich verstehe jetzt, warum du den Beteuerungen der Frau sofort geglaubt hast, dass es Harrys Kind ist.«
»Die Ähnlichkeit ist wirklich frappierend, findest du nicht?«
»Das ist sie in der Tat.«
»Und Captain Lawrence hat recht. Du warst in Spanien, als sie gezeugt wurde.«
»Ob du es glaubst oder nicht, meine liebe Julianne, aber Soldaten zeugen oft genug illegitime Kinder. Doch darum geht es hier gar nicht. Mir ist es egal, was die Leute denken. Aber die Reaktion meiner Eltern ist mir nicht egal.« Er fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Gestern Nacht habe ich darüber nachgedacht, wie ich es am besten anstelle. Ich habe kurz erwogen, die Verantwortung für ihre Existenz zu übernehmen. Aber dann erkannte ich, dass das zu viel von
Weitere Kostenlose Bücher