Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
soll.«
»Wärst du auch so nervös, wenn nicht ich, sondern Harry vor dir stehen würde?«
Einen Moment verblüffte diese direkte Frage sie. Dann beschloss sie, ihm einfach die Wahrheit zu sagen. »Nein.«
»Aha.«
Es fiel ihr schwer, zu ergründen, was dieses »Aha« bedeutete. Sein Gesicht war eine undurchdringliche, attraktive Maske aus harten Linien. Seine lebhaften Augen fesselten sie. Sie wartete einen Augenblick, ehe sie sich zu einer Erklärung durchrang. »Ihn habe ich besser gekannt.«
»Das stimmt.«
»Ich war fast mein ganzes Leben lang mit ihm verlobt.«
»Das ist eine Tatsache, die ich kaum leugnen kann.«
»Du warst fort.«
»Ach ja, mein Urlaub in Spanien. Ich erinnere mich.« Er verzog den Mund nur um eine Winzigkeit, aber ihr entging nicht der bittere Unterton seiner Antwort.
Er hatte Leib und Leben für England riskiert. Kaum ein Thema, über das man scherzen durfte, und sie spürte, wie diese Situation sie zunehmend überforderte. Vielleicht war es unverzeihlich, wenn man etwas Derartiges in der eigenen Hochzeitsnacht fragte, aber es war schon zu spät. »Vermisst du ihn?«, hörte sie sich fragen.
Himmel, warum fragte sie das bloß? Vielleicht, weil er seinem älteren Bruder so ähnlich sah. Vielleicht, weil sie nervös war und nur stammeln konnte. Vielleicht aber auch, weil ihm etwas Dunkles und Unnahbares anhaftete. Und sie wollte wenigstens einen winzigen Blick auf seine Gefühle erhaschen.
Er wurde ganz still, das Glas verharrte in der Luft auf halbem Weg zum Mund. Dann antwortete er mit kratziger Stimme: »Ja.«
Aus unerfindlichen Gründen erleichterte das sie. Dieses Anzeichen echter, menschlicher Gefühle besänftigte ihre Ängste. Sogar so sehr, dass heiße Tränen in ihren Augen brannten.
Michael fuhr mit kühler und kontrollierter Stimme fort: »Wenn ich mein Leben für seines eintauschen könnte, würde ich es tun. Trotz so vieler Kugeln, Verletzungen und Krankheiten, so vieler französischer Soldaten, die in Kampfreihen auf meine Kameraden und mich zustürmten, ist er gestorben. Und ich lebe. Wer hätte gedacht, dass das Schicksal diese Wendung nimmt?«
Sie gab ihm insgeheim recht. Es war eine Ironie des Schicksals, dass er sich absichtlich in die Gefahr gestürzt hatte, während Harry in England geblieben war. Trotzdem hatten der Duke und die Duchess nicht ihren wagemutigen Sohn verloren, sondern den sorgsam behüteten Erben. Julianne antwortete bedächtig: »Ich glaube, das Schicksal spielt mit uns. Wir sagen uns immer, unsere Entscheidungen formen den Kurs, den unser Leben einschlägt. Aber das stimmt nicht. Von dem Augenblick unserer Geburt an ist Glück eine Variable, auf die wir keinen Einfluss haben.«
»Ist das so?« Eine kastanienbraune Augenbraue schoss nach oben. »Du bist noch etwas jung, um schon so früh zu dieser Einsicht gelangt zu sein.«
»Bin ich das? Nun, ich wusste ja nicht, dass es ein Mindestalter gibt, um eine bestimmte Auffassung über das Schicksal entwickeln zu dürfen.«
Ein Ausdruck huschte über sein Gesicht, den sie nicht so recht zu deuten wusste. »Genauso wenig sollte eine Debatte über die Launen des Schicksals zu dem Abend einer Eheschließung gehören, wenn man mich fragt. Vergib mir, wenn du kannst. Ich habe die Frage gestellt, die all das erst ins Rollen brachte. Vielleicht sollten wir damit aufhören. Ich möchte dir gerne sagen, wie hübsch du aussiehst.«
Das war schon viel von einem Mann, von dem sie trotz ihrer Unerfahrenheit ahnte, dass er nicht allzu oft poetische Worte bemühte oder große Komplimente machte. Sie bewegten sich beide auf unsicherem Terrain, obwohl es aus anderen Gründen unsicher war.
Julianne lächelte. Sie war noch immer nervös, aber vermutlich nicht mehr so beklommen wie vorhin, als sie sich gewappnet hatte, sein Gemach zu betreten. »Danke schön.«
»Ich habe mich im Vorfeld gefragt, wie ich das hier für dich so angenehm wie möglich gestalten kann.«
Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, also hielt sie lieber den Mund.
»Vielleicht solltest du herkommen.« Er stellte das Glas auf ein Tischchen aus poliertem Holz.
Zu ihm gehen? Nun, sie hatte bei der Trauung geschworen, ihm zu gehorchen, obwohl seine Frage sich nicht gerade nach einem Befehl anhörte. Eher ein Vorschlag. Er stand ganz entspannt am Fenster. Das kastanienbraune Haar war leicht zerzaust, und seine breiten Schultern unter der dunklen Seide seines Morgenrocks waren sehr imposant.
Ich kann das hier tun. Langsam stand
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