Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
waren sie Liebende, doch zugleich gab er sich allergrößte Mühe, nicht mehr zuzulassen. War etwa Lady Taylor der Grund für seine Zurückhaltung?
Andererseits war er zu ihnen gekommen und hatte sie geradezu von Lady Taylor fortgerissen. Das fand sie irgendwie befriedigend. Es machte ihm zumindest ein wenig aus, was sie dachte.
»Lady Taylor ist wirklich nett«, sagte sie behutsam und zupfte beiläufig an ihrem Rock, als sei es keine berechnende Bemerkung.
»Ja.«
»Man sieht ja, dass ihr beide sehr gut bekannt seid.«
»Sieht man das?« Seine Antwort klang verhalten.
Natürlich sah man es. Sie hatte eigentlich wenig Lust, ihn mit seinen Ausreden davonkommen zu lassen. Außerdem hatte nicht sie die Lady angesprochen; Lady Taylor war ganz gezielt auf Julianne zugekommen.
»Ich vermute doch mal, dass der Krieg ein gewisses Gemeinschaftsgefühl erzeugt«, sagte sie, als dächte sie darüber ernsthaft nach. »Auch grundverschiedene Menschen könnten sich näherkommen. Vielleicht entstehen so Freundschaften, die in Friedenszeiten unmöglich wären?«
»Sind wir heute Abend etwa philosophisch gestimmt?« Sein Lächeln erreichte leider nicht die Augen. Diese braunen Tiefen waren eher … wachsam? Nein. Vielleicht wäre argwöhnisch der richtige Ausdruck. Das war angesichts der Ereignisse wohl nur natürlich. Jeder Mann wäre argwöhnisch, wenn seine Frau ihn über eine frühere Mätresse aushorcht.
Er und die lebhafte Lady Taylor waren früher Liebhaber gewesen. Und vielleicht pflegten und genossen sie auch heute noch diese Beziehung. In Julianne wuchs zu ihrem Ärger die Überzeugung, dass es nur diese Erklärung gab. Sie verspürte jedoch nicht den Wunsch, ihren Mann zu teilen. War das, was zwischen den beiden war, vorbei?
»Das sind weniger philosophische Gedanken als vielmehr beunruhigte.« Sie formulierte es mit Absicht so, dass er nachfragen musste.
Michael spielte natürlich nicht mit. »Hin und wieder sind wir alle beunruhigt. Das ist wohl eine lästige Tatsache, die das Leben mit sich bringt.«
Was sie besonders verwirrend fand, war seine Fähigkeit, ihr ausweichende Antworten zu geben. Julianne rang den Impuls nieder, ihn einfach rundweg nach seiner Geliebten zu fragen. Es kostete sie riesige Selbstbeherrschung, den Mund zu halten. Sie war einfach nicht gut darin, dieses Spiel mit ihm zu spielen. In ihrer Welt stellte man einfach die Frage, wenn man etwas wissen wollte. »Ich bin sicher, du hast recht«, murmelte sie daher und wandte den Kopf ab. Sie betrachtete eingehend den zugezogenen Vorhang vor dem Kutschenfenster.
Wenn er spürte, wie unwohl sie sich fühlte und dass sie sich deswegen zurückzog, ließ er es sich nicht anmerken. Als sie das herzogliche Anwesen erreichten, geleitete er sie ins Innere und widmete sich ihr mit der ihm eigenen ungerührten Höflichkeit. Sobald sie in ihrem Schlafgemach allein war, ließ sie ihre Zofe kommen, damit diese ihr aus der eleganten Abendrobe half. Danach entließ sie die junge Frau rasch und hielt sich ewig damit auf, ihr Haar zu bürsten. In Wahrheit lauschte sie jedoch die ganze Zeit und hoffte, schon bald das Öffnen der Tür zu hören, die Michaels und ihre Gemächer voneinander trennte.
Es passierte nicht.
Sie saß da und wartete, den Blick auf die Kaminuhr auf dem Marmorsims geheftet. Minuten verstrichen. Obwohl ihr der Gedanke nicht gefiel, sie könnte beim Lauschen erwischt werden, schlich sie auf Zehenspitzen schließlich zur Tür und horchte, ob sie ihren Mann mit Fitzhugh reden hörte.
Im angrenzenden Gemach herrschte Stille.
Endlich nahm sie ihren Mut zusammen und öffnete sogar die Tür, doch das Schlafgemach dahinter war menschenleer. Die unpersönlichen, schmucklosen Wände, das große, reich verzierte Himmelbett und der riesige, teure Teppich – all das war ihr vertraut, aber ihr Bräutigam fehlte. Nicht mal sein treuer Diener war zu sehen.
Michael hatte sich jedoch bereits seines Anzugs entledigt. Die sauber geknotete Krawatte, die er getragen hatte, war nachlässig über die Rückenlehne eines Ohrensessels neben dem Kamin geworfen, das Jackett lag auf dem Bett. Da niemand zu sehen war, fasste sie sich ein Herz und betrat das Gemach. Die Tür ließ sie offen stehen.
Es war durchaus möglich, dass er nach unten ins Arbeitszimmer seines Vaters gegangen war. Oder er war zu einem Spaziergang im Garten des Anwesens aufgebrochen, doch bezweifelte sie das. Instinktiv war sie davon überzeugt, dass er sich umgezogen hatte und noch einmal
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