Eine Hexe mit Geschmack
Herren
des Infernos selbst. Und dass all die unglücklichen seelenlosen Jungfrauen als
seine Sklavinnen gehalten werden, eine ganze Armee von schönem, leerem Fleisch.
Weder tot noch lebendig oder untot, sondern etwas vollkommen Anderes und
Unnatürliches.«
»Ich habe dasselbe gehört«, sagte
Gwurm. »Nur, dass ich auch gehört habe, dass er mit einer Seele geboren wurde
und sie verlor.«
»Zauberer gehen selten einen
Handel mit Dämonen ein.«
»Ich habe nicht gesagt, dass er
sie verkauft hat. Ich sagte, er hätte sie verloren.«
Wyst stimmte zu. »Man sagt, er war
ein guter Mann, aber eines Tages verlegte er seine Seele.«
Molch seufzte. »Das ist doch
absurd.«
»Ich habe es nur gehört.« Wyst
blieb ernst, und ich wusste nicht, ob er nun scherzte oder nicht. »Es scheint
nicht absurder, als wenn sich das Gehirn verflüssigt, wenn man nur seinen Namen
sagt.«
Gwurm sagte: »Ich habe die Nase
meiner Mutter verloren, nicht lange, nachdem ich zu Hause ausgezogen war.«
Molch bockte. »Ihre Nase.«
»Das ist Trolltradition. Als
Erinnerung. Aber ich habe sie verloren und mich dann fast wahnsinnig geärgert.
Brauchte Wochen, um darüber hinwegzukommen, aber letztlich war es ja nur eine
Nase. Ohne sie erinnere ich mich genauso gut an meine Mutter.«
Er rieb sich mit einem Daumen über
sein breites Kinn. »Aber trotzdem, in diesen Wochen kam ich nicht darüber weg.
Und ich kann mir vorstellen, wenn man seine Seele verlegt, wäre es tausendmal
schlimmer. Es ist dein persönlichster und unersetzlichster Besitz. Ich denke,
selbst der beste Mann würde darüber verrückt werden. Verrückt genug, um die zu
töten, die es wagen, seinen Namen auszusprechen.«
ZWEIUNDZWANZIG
»Ich glaube immer noch, es ergibt
mehr Sinn, dass er ohne geboren wurde.«
»Mehr Sinn vielleicht«, stimmte
ich zu, »aber Magie ist nicht immer vernünftig.«
»Du hast nicht zufällig eine Seele
gesehen, während du verloren warst, oder?«, fragte Gwurm. »Könnte gut sein,
dass es im andern Fall seine gewesen wäre.«
Molch fand das nicht besonders
komisch und ignorierte die Frage. »Die Nase deiner Mutter, sagst du?«
Gwurm nickte. »Sie war blau mit
einer Warze an der Spitze. Dir ist nichts in der Art begegnet, oder?«
»Nein. Keine verlegten Seelen.
Keine verlorenen Ohren. Keine verlegten Nasen.«
»Na gut, dann halte das nächste
Mal, wenn du da bist, danach Ausschau.«
»Das werde ich.«
Er murmelte etwas darüber, sie zu
essen, sollte er sie je finden.
Wir stießen auf einen alten Weg
und folgten ihm. Am frühen Abend wurde die Landschaft irgendwie vertraut. Ich
erkannte sie nicht wieder. Ich hatte sehr wenig von der Welt gesehen, aber eine
gute Hexe hat eben einen Sinn für das Land.
Meine Neugier gewann die Oberhand
und ich sprang von Gwurms Schultern, um mit dem Weg zu sprechen. Ich kniete
mich hin und fragte: »War ich schon mal hier?«
Er sprach mit einer rauen,
trockenen Stimme, genau so wie man es von einem vernachlässigten, staubigen Weg
erwartet.
»Lass mich in Ruhe.«
»Ich bitte dich um Verzeihung,
aber ich glaube, ich war schon einmal hier.«
»Vielleicht«, grunzte er.
»Vielleicht auch nicht. Sehr viele Füße haben mich alten Weg betreten. Man kann
nicht von mir verlangen, dass ich mich an jeden einzelnen erinnere.«
Trotz seiner Proteste wusste ich,
dass sich jeder Weg an all die erinnert, die auf ihm gereist sind. Ich wusste
außerdem, dass so ein alter, vernachlässigter Weg nicht freiwillig
Informationen preisgeben würde.
»Und es ist äußerst anmaßend von
dir«, fügte der Weg hinzu, »mich etwas zu fragen, nachdem du so gefühllos auf
meinem Rücken herumgetrampelt bist.«
»Es tut mir ja leid, aber sind
Wege nicht dafür gemacht?«
»O ja. Jede einzelne Stunde des
Tages gedankenlos auf mir herumgehen und rollen zu lassen, das ist meine
Aufgabe. Fragen beantworten aber nicht. Und jetzt los. Stampft weiter mit euren
grausamen Hufen und trampelnden Trollfüßen, aber hört auf, mich mit Fragen zu
belästigen.«
Nicht alle Wege sind so
verbittert. Ein viel benutzter, gut gepflegter Weg ist ein zufriedenes
Lasttier. Doch allzu oft führt der Wohlstand die Menschen anderswo hin, und die
Straßen werden zurückgelassen und nachtragend. Dieser spezielle Weg konnte von
vornherein nicht sehr wichtig gewesen sein. Er hatte nicht einmal eine frühere
Bedeutung, an die er sich erinnern konnte, um seine üble Laune zu mildern.
Ich blieb einen Augenblick stehen
und sagte gar nichts mehr.
»Na
Weitere Kostenlose Bücher