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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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einer der anwesenden Herren mir diese Entscheidung vielleicht abnehmen?«
    Es folgte eine drückende Stille, begleitet vom Getöse ihrer Fahrt.
    »Nun gut«, sagte Mr. Black, schon etwas ruhiger. »Dann halten wir uns an den ursprünglichen Befehl, Captain. Ich werde den entsprechenden Eintrag im Logbuch unterzeichnen.«
    »Das war zweifellos keine leichte Entscheidung, Sir«, sagte Mr. Red mitfühlend.
    »Ja. In der Tat.«

8
Es dauert ein Leben,
um das Sterben zu lernen
    Daphne aß für Mrs. Glucker, die keine Zähne mehr hatte. Und zwar indem sie ihr das Essen mundgerecht vorkaute, damit es schön weich wurde. Das, dachte Daphne, während sie den Bissen aus gepökeltem Rindfleisch pflichtbewusst mit den Zähnen bearbeitete, war ein völlig anderes Leben als zu Hause.
    Doch inzwischen kam ihr das Leben zu Hause ohnehin nur noch unwirklich vor. Ihr Zuhause war jetzt eine Matte in einer Hütte, auf der sie jede Nacht so tief und fest schlief, dass der Schlaf einfach schwarz blieb, und der Hain, in dem sie sich nützlich machte. Und hier konnte sie sich wirklich nützlich machen. Außerdem beherrschte sie die Sprache jeden Tag ein bisschen besser.
    Mrs. Glucker jedoch konnte Daphne überhaupt nicht verstehen. Selbst Cahle hatte damit Schwierigkeiten und ihr irgend wann erklärt: »Sehr alte Sprache. Von lange her.« Auf allen Inseln hatte man von der alten Frau gehört, aber keiner der Überlebenden wusste mehr über sie zu sagen, als dass sie uralt war.
    Auch der Junge Oto-I konnte nur berichten, dass sie ihn von einem dahintreibenden Baumstamm aufgelesen und die ganze Zeit Meerwasser getrunken hatte, damit das Süßwasser in ihrem Beutel für ihn reichte.
    Mrs. Glucker tippte ihr an den Arm. Geistesabwesend spuckte Daphne das zerkaute Fleisch aus und reichte es ihr. Sie musste zugeben, dass es nicht gerade der angenehmste Zeitvertreib war. Wenn man ganz genau darüber nachdachte, konnte man es nur mit bah umschreiben, aber schließlich musste sie sich ihr Essen ja nicht von der alten Frau vorkauen lassen.
    »Ermintrude.«
    Einen Moment lang hing dieses Wort in der Luft.
    Sie blickte sich erschrocken um. Niemand auf der Insel kannte diesen Namen! Vor ihr im Garten kümmerten sich ein paar Frauen um die Pflanzen, aber die meisten Leute arbeiteten auf den Feldern. Neben ihr schlürfte die alte Frau begeistert die Fleischpampe und gab dabei Geräusche von sich wie ein verstopfter Abfluss.
    Es war ihre eigene Stimme gewesen. Offenbar hatte sie sich Tagträumen hingegeben, um sich vom Vorkauen abzulenken.
    »Hol den Jungen her. Bring sofort den Jungen hierher.«
    Schon wieder. Hatte sie das wirklich gesagt? Ihre Lippen hatten sich nicht bewegt – das hätte sie gespürt. Das war nicht das, was die Leute mit Selbstgesprächen meinten. Sie hatte nicht mit, sondern zu sich selbst gesprochen. Aber sie konnte ja nicht »Wer bist du?« fragen – nicht ihre eigene Stimme.
    Pilu hatte ihr erzählt, dass Mau tote Großväter in seinem Kopf hörte, und sie vermutete, dass so etwas wohl unausweichlich war, nach allem was der Junge durchgemacht hatte.
    Konnte auch sie jetzt seine Vorfahren hören? »Ja«, sagte ihre eigene Stimme.
    »Warum?«
    »Weil dies ein heiliger Ort ist.«
    Daphne zögerte. Wer auch immer das tat, kannte ihren Namen, und hier kannte niemand ihren richtigen Namen, wirklich niemand! Es war ein Geheimnis, das sie lieber für sich behalten wollte. Und sie war auch nicht verrückt geworden, weil ein Verrückter bestimmt nicht die letzte halbe Stunde damit zugebracht hätte, Mrs. Glucker das Essen vorzukauen… na ja, vielleicht war das doch kein so gutes Beispiel, denn ihre Großmutter und Leute wie sie würden bestimmt sagen, dass ein Mädchen, das Königin sein würde – wenn einhundertneununddreißig Leute starben – und das Fleisch für jemanden vorkaute, der wie Mrs. Glucker aussah, klang und roch, verrückter nicht sein konnte, ohne dass ihm der Sabber aus den Mundwinkeln lief.
    Vielleicht war es auch Gottes Stimme, aber so fühlte es sich nicht an. In der Kirche hatte sie angestrengt gelauscht, ob sie Gott hören konnte, vor allem nach jener schrecklichen Nacht, aber natürlich war Er immer ziemlich beschäftigt. Allerdings gab es hier auch kleinere Götter. Vielleicht war es einer von denen.
    Sie ließ den Blick über den Garten schweifen. Hier gab es keine Kirchenbänke und schon gar kein poliertes Messing, doch dieser Ort strahlte eine besondere Ruhe aus, ein von Brisen durchwobenes Schweigen. Hier

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