Eine Insel
Ataba. Ich denke, er glaubt gar nicht an seine Götter, sondern an den Glauben. Und er glaubt, dass die Hosenmenschen vor sehr langer Zeit hier waren.«
Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht haben sie die Steine nur als Ballast mitgenommen. So muss es gewesen sein. Sieh dir nur die vielen Steine an, die Judy Sweet mitgebracht hat. Für euch ist es bloß wertloser Stein, für uns jedoch das Material für alle möglichen Werkzeuge. Und vielleicht haben sie uns Metall und Werkzeug gegeben, wie man Kindern Spielzeug schenkt, und wir haben Zeichen in die Steine graviert, weil wir wollten, dass sie zurückkehren. Würde es nicht genau so sein? Wir leben auf einer sehr kleinen Insel. Auf einer winzigen.«
Die Phönizier, dachte Daphne niedergeschlagen. Sie hatten sehr lange Reisen unternommen. Genau wie die Chinesen. Und was war mit den Azteken? Oder gar den Ägyptern? Manche Leute behaupten, die hätten sogar das ferne Hinteraustralien bereist. Und wer wusste schon, welche Völker bereits vor vielen tausend Jahren auf der Welt unterwegs waren? Wahrscheinlich hatte er recht. Aber er sah so traurig aus.
»Eure Nation mag eine kleine Insel sein«, sagte sie, »aber dafür seid ihr ein sehr altes Volk. Die Großmütter müssen einen Grund gehabt haben, dir zu sagen, dass du den Stein wegrollen sollst.«
Sie betrachteten den Stein, der golden im Licht des Nachmittags schimmerte.
»Ich kann mich an keinen längeren Tag als diesen erinnern«, sagte Daphne.
»Aber ich«, sagte Mau.
»Ja. Auch das war ein sehr langer Tag.«
»Wir brauchen zehn kräftige Männer, um den Stein zu bewegen«, sagte Mau nach einer Weile. »Aber so viele haben wir nicht.«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte Daphne.
»Wie viele würden wir brauchen, wenn einer von ihnen Milo wäre und er eine Brechstange aus Stahl hätte?«
Es dauerte seine Zeit. Im Fels unter dem Stein war eine Furche, die ausgekratzt werden musste, und drei Baumstämme wurden in Stellung gebracht, um zu verhindern, dass die Tür nach außen kippte, wenn sie bewegt wurde. Die Sonne fiel bereits dem Horizont entgegen, als Milo mit einer sechs Fuß langen Stahlstange vor den Stein trat.
Mau musterte das Werkzeug mit niedergeschlagener Miene.
Es war nützlich, und er war froh, dass sie es hatten, aber die Stange war ein Hosenmenschenwerkzeug, ein weiteres Geschenk von der
Sweet Judy
. Sie waren immer noch dabei, das Schiff wie Termiten kahlzufressen.
Selbst Kanus hatten eine Seele. Das wusste jeder. Manchmal war es keine gute Seele und das Gefährt nur schwer zu manövrieren, obwohl es gut gebaut zu sein schien. Wenn man Glück hatte, besaß das Kanu eine gute Seele wie das, was er auf der Jungeninsel gebaut hatte, weil es scheinbar immer verstand, was er wollte. Die
Sweet Judy
hatte auch eine gute Seele, das sah er ganz deutlich. Es war eine Schande, das Schiff auseinanderzunehmen, und genauso schändlich war es, dass sie sich erneut auf Dinge von den Hosenmenschen verlassen mussten, um etwas zu bewerkstelligen. Er schämte sich fast dafür, dass er selbst eine kleine Brechstange hielt, aber diese Dinger waren einfach zu nützlich! Wer außer den Hosenmenschen hatte so viel Metall, dass sie es sich leisten konnten, daraus Stöcke zu machen?
Trotzdem waren die Brechstangen wunderbar. Damit bekam man alles Mögliche auf.
»Auf der Tür könnte ein Fluch liegen«, sagte Ataba, der hinter Mau stand.
»Kannst du erkennen, ob es so ist?«
»Nein. Aber was du tun willst, ist falsch!«
»Das sind meine Vorfahren. Ich suche ihren Beistand. Warum sollten sie mich verfluchen? Warum sollte ich mich vor ihren alten Knochen fürchten? Warum fürchtest du dich?«
»Was in der Dunkelheit liegt, sollte man in Ruhe lassen.«
Der Priester seufzte. »Aber jetzt hört mir ohnehin niemand mehr zu. Die Korallen sind voller weißer Steine, sagen die Leute. Welche sind also heilig?«
»Und? Welche?«
»Die drei alten natürlich.«
»Ihr könntet es überprüfen«, sagte Daphne einfach drauflos.
»Die Leute könnten auf jeden neuen Stein einen Fisch legen, und dann werden wir ja sehen, ob es ihnen etwas nützt. Ja, ich müsste mir dazu nur noch eine wissenschaftliche Methode…«
Sie unterbrach sich, als ihr bewusst wurde, dass alle Augen auf sie gerichtet waren. »Jedenfalls wäre es sehr interessant«, setzte sie wenig überzeugend hinzu.
»Ich habe kein Wort verstanden«, sagte Ataba, der sie mit kaltem Blick fixierte.
»Aber ich.«
Mau reckte den Hals, weil er
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