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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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wissen wollte, wer gesprochen hatte, und entdeckte die hohe, dürre Gestalt von Tom-ali, einem Kanubauer, der mit zwei Kindern gekommen war, einem Jungen und einem Mädchen, beide nicht seine eigenen.
    »Sprich, Tom-ali«, sagte er.
    »Ich würde die Götter gerne fragen, warum meine Frau und mein Sohn gestorben sind und ich nicht.« Aus der Menge kam leises Gemurmel.
    Mau kannte ihn schon. Er kannte alle Neuankömmlinge.
    Sie alle bewegten sich ziemlich langsam. Manche saßen einfach nur da und blickten aufs Meer hinaus. Und über allen hing ein grauer Schleier. Warum bin ich hier?, fragten ihre Gesichter. Warum ich? Bin ich ein schlechter Mensch?
    Tom-ali reparierte hier die Kanus, und der Junge half ihm dabei, während sich das Mädchen im Frauenhain nützlich machte.
    Manche Kinder kamen mit der neuen Situation besser zurecht als die Erwachsenen. Nach der Welle hatten sie einfach einen neuen Platz gefunden, wo man leben konnte. Doch Tom-ali hatte etwas gesagt, das viele Leute nicht hören wollten, und im Augenblick war es das Beste, ihnen etwas anderes zu geben, worüber sie nachdenken konnten.
    »Jeder von uns sucht heute nach Antworten«, sagte Mau.
    »Ich bitte euch alle: Helft mir dabei, den Stein zu bewegen. Niemand muss seinen Fuß in die Höhle setzen. Ich werde allein hineingehen. Vielleicht finde ich dort die Wahrheit.«
    »Nein«, sagte Ataba entschieden. »Wir werden gemeinsam hineingehen und die Wahrheit finden.«
    »Gut«, sagte Mau. »Dann können wir doppelt so viel finden.«
    Ataba stand neben Mau, als die Männer sich bereit machten.
    »Du sagst, du hättest keine Angst. Aber ich habe Angst, junger Mann, bis in die Zehenspitzen.«
    »Die Wahrheit werden tote Männer sein, die dort drinnen liegen, mehr nicht«, sagte Mau. »Staub und Knochen. Wenn du dich fürchten willst, denk lieber an die Räuber.«
    »Du solltest die Vergangenheit nicht so leichtfertig abtun, Dämonenjunge. Du könntest immer noch daraus lernen.«
    Milo klemmte die Stange seitlich unter den Stein und zog daran. Der Stein knirschte und bewegte sich zwei Finger breit…
    Sie machten langsam und vorsichtig weiter, denn der Steinblock würde jeden zerquetschen, auf den er fiel. Das Auskratzen der Furche war eine gute Idee gewesen. Der Stein rollte ohne Schwierigkeiten, bis die Hälfte des Höhleneingangs offen stand.
    Mau blickte hinein. Es war nichts zu sehen. Er hatte sich alles Mögliche vorgestellt, aber nicht nichts. Der Boden war recht glatt und mit einer dünnen Staubschicht bedeckt, ein paar Käfer flüchteten in die Dunkelheit, doch das war auch schon alles, was die Höhle zu bieten hatte. Aber es führte ziemlich tief hinein.
    Warum hatte er eigentlich damit gerechnet, dass ihm alte Knochen entgegenfallen würden, sobald die Tür geöffnet wurde?
    Wieso sollte die Höhle randvoll damit sein? Mau hob einen kleinen Stein auf und warf ihn mit aller Kraft in die Dunkelheit.
    Er prallte ziemlich lange klappernd hin und her.
    »Also gut«, sagte er, und die Höhle warf seine Stimme zurück.
    »Wir werden wohl doch diese Lampen brauchen, Daphne.«
    Sie stand auf und hielt in jeder Hand eine Lampe von der
Sweet Judy
. »Eine rote und eine grüne«, sagte sie. »Die Backbord- und die Steuerbordlampe. Tut mir leid, aber wir haben kaum noch Kabinenlampen übrig, und allmählich geht uns das Öl aus.«
    »Was ist denn mit der weißen Lampe, die neben dir steht?«, fragte Mau.
    »Tja, das ist die Lampe, die ich mitnehmen werde«, sagte das Geistermädchen. »Und um keine Zeit mehr zu verschwenden, tun wir am besten so, als hätten wir die Sache längst ausdiskutiert und ich den Streit gewonnen.«
    Noch mehr Hosenmenschendinge, dachte Mau, als er seine Lampe entgegennahm. Was meine Leute wohl benutzt haben?
    Als er die niedrige Decke berührte, wusste er es. Seine Finger waren von Ruß geschwärzt.
    Also Fackeln. Aus Schweinefett konnte man ganz brauchbare Fackeln machen, und wenn sie von dem Zeug genug übrig hatten, benutzten sie Fackeln, um nachts auf Fischfang zu gehen, weil die Fische dem Licht entgegenschwammen. Heute leben wir von Fisch und dem gepökelten Rindfleisch der
Sweet Judy
, weil es so am einfachsten ist, dachte er. Also werden wir jetzt mit dem Lampenlicht der Hosenmenschen nach unseren Toten suchen.

10
Sehen heisst glauben
    Die Höhle wartete. Darin konnte sich alles Mögliche verbergen, dachte Mau. Aber genau darum ging es doch, nicht wahr? Man musste es herausfinden. Man wollte es einfach wissen. Und Daphne

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