Eine Japanerin in Florenz
Tür vorbeischob. Den Hut hatte er sich nach hinten in den Nacken geschoben, und in einem Mundwinkel hing eine Zigarette. Das englische Paar stand auf einem Stück mitgenommener Wellpappe und guckte dem Arbeiter völlig perplex hinterher. Die Tür schloß sich.
Er hatte die Arbeiter bereits vier- oder fünfmal gebeten, im Warteraum nicht zu rauchen. »Kein Grund zur Sorge, Maresciallo«, hatten sie ihn beruhigt. »Dort rauchen wir nicht. Nur draußen am Laster zünden wir uns eine Zigarette an. Ist das in Ordnung?« Und vierzigmal am Tag hinterließen sie ihre Rauchfahnen auf dem Weg nach oben. Der jüngste von ihnen erinnerte sich manchmal rechtzeitig und trat seine Zigarette auf den Fliesen aus.
Es könnte schlimmer sein. Er hatte die Kisten mit den Fliesen gesehen. Sie würden bald fertig sein.
Der Maresciallo setzte sich, nahm jedes Kleidungsstück einzeln aus dem Beutel und breitete es vor sich auf dem Schreibtisch aus.
Unterwäsche: einfache, weiße Baumwolle, aus einem Kaufhaus an der Piazza della Republica. Dunkelblauer Leinensweater, das Etikett eines großen, teuren Modewarengeschäftes in der Nähe des Doms, Stretch-Jeans, blau, das Etikett war herausgeschnitten worden, ein einfaches, weißes Poloshirt, auch ohne Etikett, aber auf der Brusttasche befand sich ein kleines, gesticktes V. Ein Valentino-Shirt, keine Frage. Eine einfache Korallenkette. Ein schmaler Gürtel aus blassem Leder mit einer hübschen Schnalle. Der Hersteller hatte seinen Namen dort eingraviert. Unmöglich, das wegzuschneiden. Der Maresciallo starrte auf den Namen und konnte sich nicht entscheiden, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Zumindest war es nicht erstaunlich. Schließlich war die Frau in seinem Viertel gefunden worden, und hier gab es nur drei Möglichkeiten, wenn es um handgearbeitete Lederwaren in solcher Qualität ging. Er war froh, daß er nun einem realen Hinweis nachgehen konnte, aber er wäre weitaus glücklicher gewesen, wenn es einen der anderen beiden getroffen hätte. Peruzzi, der schwierigste Schuhmachermeister der ganzen Stadt. Blieb natürlich die Hoffnung, ihn in guter Laune zu erwischen. Wahrscheinlich konnte er sich sowieso nicht mehr an die Kundin erinnern. Es sei denn, sie gehörte zu seiner Stammkundschaft. Leider stand sein Name nicht auf dem Schuh. Der sah aus, als sei er von Hand gearbeitet worden. Aber dann müßte der Name des Schuhmachers innen zu sehen sein, und da war nichts. Ein ungewöhnlicher Schuh. Eine sehr niedrige, spitz zulaufende Stiefelette mit einem schmalen Absatz, die vorn geschnürt wurde. So ähnliche Schuhe hatte seine Großmutter getragen, allerdings in Schwarz, während der Schuh vor ihm naturfarben war wie der Gürtel. Ein Teil des Schuhs schien irgendwie anders beschaffen zu sein als der Rest. Das Leder auf der linken Seite war ein wenig dunkler und fühlte sich weicher an als das andere, helle, glatte Leder. Das Wasser konnte diesen Unterschied kaum bewirkt haben. Peruzzi würde ihm genauere Auskunft geben können, wenn er wollte. Aber selbst wenn nicht, der Maresciallo hatte nun einen triftigen Grund, wenigstens für den Rest des Tages dem Lärm und Staub zu entfliehen. Er sammelte die Sachen ein und bestellte einen Wagen.
»Tut mir wirklich leid. Vorsicht, achten Sie bitte auf …« Das durchdringende Kreischen dreier elektrischer Bohrer übertönte die warnenden Worte der Geschäftsführerin. Der Maresciallo folgte ihr durch eine Staubwolke, machte einen großen Schritt über einen Haufen Kabelsalat und trat in ein winziges Zimmerchen am Ende des Ladens. Der Boden war mit Wellpappe ausgelegt, Regale und gestapelte Kisten mit Plastikplanen eingehüllt. »Sie sollten eigentlich fertig sein, bevor die Messe für die Herrenbekleidung beginnt, aber ich habe da inzwischen ziemliche Zweifel. Sie können sich nicht vorstellen, was es heißt, inmitten eines solchen Durcheinanders und Drecks zu arbeiten. Und dann auch noch der Lärm! Warten Sie, ich schließe die Tür, vielleicht können wir dann einen klaren Gedanken fassen.« Sie schaute sich um und begann, Plastikplanen umzuräumen. »Vielleicht setzen Sie sich besser nicht, es sei denn …«
»Machen Sie sich bitte keine Umstände. Ich stehe ganz gern. Ich wollte Sie nur bitten, sich diesen Pullover anzusehen. Vielleicht haben Sie es in den Nachrichten bereits gehört oder in der Zeitung gelesen. Wir versuchen, eine Frau zu identifizieren, die ertrunken ist.«
»Tut mir leid. Solche Berichte lese ich nie.«
»Das
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