Eine Japanerin in Florenz
mit Peruzzi anging – wie bereitete man sich auf ein Minenfeld vor? Man tastete sich vorsichtig vor, was anderes blieb da nicht übrig. Und was konnte jetzt schon noch schiefgehen? Wenn er sich vorstellte, daß er erst gestern nichtsahnend im Sonnenschein mit einem Glas Rotwein hier gesessen hatte, in dem festen Glauben, einen gewöhnlichen Mordfall mit einer Ausländerin vor sich zu haben. Keine politischen Verwicklungen, keine bekümmerten Eltern, keine Pressehetze, kein Druck aus dem Büro des Staatsanwalts, sein einziges Problem war der aufbrausende Schuhmacher gewesen.
Er zog die Schultern hoch, um dem heftig niederprasselnden Regen weniger Angriffsfläche zu bieten, und marschierte zur Werkstatt des Schuhmachers. Der Donner krachte hoch über seinen eingezogenen Kopf, ein Vorgeschmack auf Peruzzis Jähzorn.
Akikos Tod hatte Peruzzi tief getroffen. Sein scharfer Blick wirkte plötzlich unstet, als sei er in einem Irrgarten gefangen. Der Maresciallo mußte sich allerdings durch einen echten Irrgarten kämpfen, um bis zu ihm vorzudringen, denn der Schuhmachermeister hielt sich nicht in der Werkstatt auf. Nach all dem Lobgesang auf den Sohn, der sich um alles kümmerte, ging der Maresciallo davon aus, daß Peruzzi sich nicht mit all den anderen auf den Weg zur Bank gemacht hatte. Aber vielleicht war er auf eine kurze Plauderei und eine Tasse Kaffee in die Café-Bar gegangen?
»Nein, nein«, klärte Issino ihn auf. »In Geschäft. Signora ist Kaffee trinken. Hier kommen, bitte.«
Und statt wieder nach draußen in den Sturm und Regen geschickt zu werden, die Straße ein Stück weit hinunterzulaufen, um dann in die Via Borgo San Jacopo abzubiegen, erklärte er ihm, daß er die schlecht beleuchtete Treppe hinuntersteigen sollte, nach links abbiegen, dann rechts und wieder rechts bis zum Ende gehen, weiter bis hinter die Schränke und dann die Tür rechts die Treppe hinauf. Der Flur im Keller war besser beleuchtet als die Treppe, und unter normalen Umständen hätte er sich sehr für die Regale und die Schachteln, all die Leisten und die Lederstapel interessiert. Aber die Umstände waren nicht normal, und so ging er den Flur entlang, ohne auch nur einen Blick nach links oder rechts zu werfen, und nach einem Fehlversuch, bei dem er versehentlich in Issinos kleinem Verschlag landete, und einem zweiten, bei dem ihm ein großer Schrank den weiteren Weg versperrte, fand er schließlich die richtige Tür und tauchte wieder an der Oberfläche auf.
Die Verkäuferin war aus der Pause schon wieder zurückgekehrt, wahrscheinlich ein wenig früher, weil das Unwetter noch schlimmer zu werden drohte. Sie hockte zu Füßen eines Kunden, mitten in einer Sammlung von Schuhen und gab beruhigende Laute von sich. Peruzzi stand mit einem Stapel Schuhschachteln auf dem Arm am Fenster und blickte nach draußen in den Regen. Er hatte die Ankunft des Maresciallo überhaupt nicht bemerkt, bis dieser auf ihn zuging und ihn am Ellbogen berührte.
»Wir müssen miteinander reden.«
Peruzzis unsteter Blick erfaßte ihn. Aber erst gut fünf Minuten später, als die bissigen Kommentare Peruzzis den Kunden mit leeren Händen aus dem Geschäft getrieben hatten, schlug die Verkäuferin schließlich vor, daß sie sich doch setzen oder – besser noch – in die Werkstatt zurückziehen sollten. Der Schuhmachermeister schenkte dem Maresciallo noch immer nicht die geringste Aufmerksamkeit.
In dem elegant eingerichteten, mit blauem Teppichboden ausgelegten Geschäft wirkte Peruzzi noch deutlicher fehl am Platze als der Maresciallo. Er war groß und zu schlaksig mit dieser langen Schürze und den Händen, denen man ansah, daß mit ihnen gearbeitet wurde. In dieser Verkaufswelt gab es nur warmes, weiches Licht, sanfte Farben, den schwachen Duft nach Parfüm und neuen Schuhen.
»Ihre Verkäuferin hat recht, Peruzzi. Gehen wir zurück in die Werkstatt.«
Peruzzi antwortete nicht, denn eine junge, blonde Frau kam in das Geschäft und unterbrach sie. Sie lächelte freundlich und hielt den nassen, tropfenden Schirm weit vor sich. Die Verkäuferin eilte ihr entgegen, um ihr den Schirm abzunehmen, aber die blonde Kundin schaute nur Peruzzi an.
»Ihr Lehrling hat mich hierher geschickt. Sind die Mokassins fertig?«
»Ja. In Braun und in Schwarz.«
»Aber ich wollte ein rotes Paar und ein blaues, wie im letzten Jahr! Erinnern Sie sich nicht mehr? Ich war Ende April hier, und Sie haben versprochen, daß sie bis Anfang Juni fertig wären.«
»Sind sie ja
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