Eine Jungfrau Zu Viel
gehört, dass die Wahl eines neuen Meisters hauptsächlich vom Zustand seiner Küche abhängt statt von den religiösen Qualitäten des Mannes.«
»Das glaube ich gerne«, meinte Rutilius lächelnd. »Hören Sie, wollen Sie beide an dem Festmahl teilnehmen? Ich kann da bestimmt etwas machen …«
»Das wäre nicht erwünscht, fürchte ich.« Auf die Möglichkeit hin, dass er zum inneren Zirkel gehörte und alles über den Mord im Hain wusste, fügte ich hinzu: »Mein junger Freund Camillus hatte das Pech, gestern Nacht eine blutige Leiche zu entdecken. Vielleicht haben Sie schon davon gehört. Wir haben hier gerade ein paar unbequeme Fragen gestellt. Die Brüder sind ziemlich empfindlich, was den Vorfall angeht. Unsere Gesichter würden sich bei dem Festmahl nicht gut machen.«
Rutilius schaute sich um und vergewisserte sich, dass uns niemand zuhörte. »Ja. Ich komme direkt aus dem Palast, und wir haben genau darüber geredet. Deshalb habe ich mich verspätet. Titus und Domitian Cäsar wären normalerweise auch hier …«
»Politische Entscheidung? Protokollmäßig ziemlich schwierig«, sagte ich mitfühlend. »Wenn sie nach einer Tragödie, für die niemand etwas kann, zu Hause bleiben, würde das kaltherzig wirken. Aber falls dieser Mord zum Skandal im ›Tagesanzeiger‹ aufgebläht wird, werden die Prinzen nicht wollen, dass ihre Namen damit in Zusammenhang gebracht werden … Lassen Sie mich raten. Die Jungs in Purpur haben eine unerklärliche Magenverstimmung, und Sie sind hier, um ihr aufrichtiges Bedauern zu überbringen?«
»Domitian hat eine Magenverstimmung«, bestätigte Rutilius. »Titus entschied sich dafür, sich plötzlich an den Geburtstag einer sehr alten Tante zu erinnern.«
»Und verbringt einen ruhigen Abend in den Armen der sagenhaften Berenike.«
»Wundervoll für sie beide! Falco, ich muss jetzt da rein …«
Wir wünschten ihm einen schönen Abend und verließen die Villa ohne Meerblick. Nach einer Weile fragte Aelianus: »Was hältst du von dem Ganzen?«
»Merkwürdige Angelegenheit. Eine Frau dreht durch und ersticht einen Verwandten – nur verbrämt sie es als religiöse Opferhandlung.« Ich hielt inne. »Das muss einiges von ihr gefordert haben. Das Töten war bestimmt schwierig, selbst in Raserei, aber dann, nach dieser anstrengenden Tat, musste sie die Leiche so hinlegen, dass das Blut herausfloss …« Beide verzogen wir angewidert das Gesicht.
»Ist der Mord nur eine plötzliche Wahnsinnstat, Falco, oder glaubst du, das Opfer hatte ihr besonders zugesetzt?«
»Irgendwas muss ihre Tat schon ausgelöst haben. Nicht bei den Spielen. Ein früherer Vorfall, weil sie umfangreiche Vorbereitungen zu treffen hatte. Sie hatte sich als Priesterin verkleidet und Opfergeräte in den Hain mitgenommen.«
»Glaubst du, sie ist zusammen mit dem Mann dorthin gekommen?«
»Das bezweifle ich. Er hätte sich über die religiöse Ausstattung gewundert. Doch eine Frau von Stand würde normalerweise nicht allein von Rom aus aufbrechen. Sie muss irgendwie dorthin gekommen sein. Sie muss über ein Transportmittel verfügt haben, wenn nicht gar über eine Begleitung.«
»Für eine Frau von Stand ist ein diskreter Transport kein Problem. Die Hälfte aller Skandale in Rom sind darauf angewiesen. Sie ging also zu den Spielen und hat sich dem Mann entgegengestellt, mit der vollen Absicht, ihn zu töten? Dafür gibt es keine mildernden Umstände – und was dann, Falco? Die verrückte Mörderin wird einfach zu ihrer Familie zurückgebracht? Wahrscheinlich sogar in demselben diskreten Transportmittel! Und darf ihr normales Leben weiterführen?«
»Na ja, der Meister hat gesagt, dass man sie bewacht«, erwiderte ich trocken. »Wenn sie wirklich ihren Mann umgebracht hat, muss die Familie vielleicht nur dafür sorgen, dass sie nie wieder heiratet. Und sollte sie das doch tun, werden sie den neuen Kerl bestimmt davor warnen, ihr den Rücken zu kehren, wenn sie Rauchfleisch aufschneidet.«
»Na prima! War der rüde alte Mann, dem wir vorhin begegnet sind, ein Verwandter, der die Arvales gebeten hat, die Vertuschung zu sanktionieren?«
»Kann gut sein.«
»Also ich finde es schändlich, wenn sie damit durchkommen.«
Da er zu Kreisen gehörte, in denen Vertuschung zulässig war, enthielt ich mich jeden Kommentars. Was war damit zu gewinnen, wenn man die Tragödie dieser Frau öffentlich machte? Ein Gerichtsverfahren und eine Hinrichtung würde das Elend ihrer Familie nur noch vergrößern. Viele
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