Eine Jungfrau Zu Viel
fortgehe, selbst wenn es zu seinem Besten sei. Da mochte sie Recht haben. Ich hatte bereits seinen älteren Bruder Larius von ihr losgeeist, der jetzt sein Leben als Maler in der Bucht von Neapolis genoss, also betrachtete meine Schwester mich als Kinderdieb. Aus irgendeinem Grund hatte Großtante Phoebe Vertrauen zu mir und versprach mir, Vorbereitungen zu treffen, um Gaius sofort aufnehmen zu können. Er war ein widerlicher kleiner Lümmel, aber ich hatte zu ihr ebenfalls Vertrauen. Wenn er gerettet werden konnte, dann von ihr.
Ich sammelte gerade meine Mitreisenden ein, da kam Fabius angestapft. »Hör mal, Marcus, mir ist da ein Gedanke gekommen …«
Mit Mühe unterdrückte ich meine Gereiztheit.
»Wir müssen los!«, rief Mama laut. Sie versuchte schon seit siebzig Jahren ihren Bruder Fabius auf den Punkt zu bringen. Außerdem hatte sie unseren Karren mit Gemüse voll gestopft und wollte es nach Rom schaffen, solange es noch frisch war. (Ich meine, sie musste weg, bevor Phoebe merkte, wie viele Netze mit Zwiebeln und Körbe voll frisch gestochenem Spargel sich Mama unter den Nagel gerissen hatte.)
»Nein, hör zu, nachdem du jetzt die Verantwortung für die heiligen Hühner hast, könnten wir vielleicht ins Geschäft kommen«, schlug Fabius mit gefährlich begierigem Blick vor.
»Ich will ja nicht aufgeblasen klingen, aber es besteht keine Chance, die Augurenvögel in Korbkäfige zu stecken, um sie zu mästen, Onkel Fabius. Hier geht es vor allem darum, ihnen freien Auslauf zu geben, damit sie den Willen der Götter auf uneingeschränkte Weise kundtun.«
»Das verstehe ich ja, Marcus«, erwiderte mein Onkel gewichtig. »Ich hatte mir nur gedacht, ich könnte dich von Zeit zu Zeit mit neuen Hühnern beliefern.«
»Tut mir Leid, dafür sorgen sie selbst. Wir brüten ihre Eier aus.«
»Was, sogar in der Stadt?«
»Städte sind natürliche Brutstätten, Fabius. Enzyklopäden sitzen an jedem Straßenbrunnen und machen sich Notizen über die kopulierenden Arten, die sie an diesem Tag gesehen haben, und den merkwürdigen Laich, den sie ausgebrütet haben.«
Metapher und Satire waren an Fabius völlig verschwendet.
»Na gut, war ja auch nur so ein Gedanke.«
»Trotzdem vielen Dank.« Ich zwang mich, ihn anzustrahlen. Freundlichkeit war dämlich, aber ich dachte, ich sei ihm entkommen.
Von wegen! »Und was ist mit dem Dung der heiligen Gänse?«, fragte er noch eindringlicher. »Wusstest du, dass Vogelscheiße ein ausgezeichnetes Düngemittel ist? Das heilige Element wäre noch ein besonderer Werbeanreiz. Hast du dir mal überlegt, das Zeug zu verkaufen?«
Eine breit gefächerte Palette gefährlich korrupter Nebenvertragshändler hatte sich mit meinem neuen Rang eröffnet. Anständig zu bleiben, konnte harte Arbeit werden, wenn ich mich um jede Gaunerei kümmerte, die mir freundliche Menschen vorschlugen. Mit zusammengebissenen Zähnen sprang ich auf den Kutschbock meines Karrens.
Ich peitschte das Muli regelrecht durchs Tor, wo wir fast mit einem Mann auf einem Esel zusammenstießen, der sich als der abgängige Scaurus herausstellte.
Ich erkannte ihn sofort. Wie ich geschätzt hatte, war er in den Dreißigern, obwohl er das Verhalten eines weit Älteren hatte. Bedrückenderweise hatte er dasselbe verwaschene, niedergeschlagene Aussehen wie seine Frau. Obwohl er jetzt auf dem Land lebte, schaute er aus, als wäre er im Haus eingesperrt. Er war schlaksig, hatte eine hohe Stirn und zwei unterschiedlich gekrümmte Schultern. Zudem besaß er die Art wohlmeinender Haltung, die mich schnell verrückt machte.
»Sie sind Laelius Scaurus!«
Als ich das Muli endlich zum Stehen gebracht hatte, sah er mich erstaunt an. »Sind Sie Falco?«
Die Luft in der Campania schien offenbar jeden hier draußen zu einem täppischen Bählamm zu machen, das nur Stupides von sich gibt. Jetzt saß ich fest. Ich musste ihn am Tor befragen, während Mama, die Kleine, Nux und Helena mir zuschauten. Er blieb auf dem Esel. Ich blieb auf dem Karren.
»Ja, ich bin Falco. Danke, dass Sie gekommen sind. Ich weiß, dass Sie zwei anstrengende Reisetage hinter sich haben.«
»Ach, das ist schon in Ordnung.«
Ich hasse Leute, die sich ausnutzen lassen, besonders von mir. Aber ich weigerte mich, Schuldgefühle zu haben. »Hören Sie, ich werde Sie nicht lange aufhalten …« Nicht unter den stechenden Augen meiner Mutter, die besagten, ich hätte sie bereits lange genug warten lassen, nachdem man ihr versprochen hatte, sie nach Hause zu
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