Eine Katze hinter den Kulissen
sehr.
Er wartete, den Stift in der Hand.
»Anna Pawlowa Smith«, sagte ich.
»Bitte? Das soll ich schreiben?«
»Genau. Auf alle drei Karten.«
»Und das ist alles?«
»Das ist alles. Soll ich buchstabieren?«
»Nein, ich komme schon klar«, sagte er,
aber er fing nicht an zu schreiben. Er schaute mich nur an und wartete
wohl auf weitere Erklärungen.
»Hör zu, Basillio. Wenn du früher von
Dobrynin erpreßt worden wärest, und du bekämst eine
Postkarte, auf der nur ›Anna Pawlowa Smith‹ steht, wie
würdest du reagieren?«
»Ich wäre verwundert, denn ich
wüßte ja, daß er tot ist. Und ich würde
wahrscheinlich auch Angst kriegen.«
»Hmhm«, nickte ich. »Und warum das?«
»Weil ich gedacht hätte, daß die
Gefahr vorbei sei. Damals, als er mich erpreßt hat, war dieser
Name das Codewort. Jetzt ist er tot. Woher kommt das Wort also? Jemand
anderes könnte versuchen wollen, da weiterzumachen, wo Dobrynin
aufgehört hat.«
»Sehr gut«, sagte ich. »Du kriegst
diese Karte. Du hast ganz schön Schiß. Was würdest du
als nächstes tun?«
»Ich würde wahrscheinlich Hals über
Kopf zu diesem Haus fahren, 1407 Broadway, und nachsehen, ob der Name
dort an der Wand steht. Denn wenn das so ist, dann bin ich in
Schwierigkeiten.«
»Brillant, Mr. Basillio.«
»Nein, Sie sind brillant, Miss Nestleton.«
»Nein, Sie, Mr. Basillio.«
»Nein, ich bestehe darauf: Sie, Miss
Nestleton.« Tony verbeugte sich vor mir. »Nein,
wirklich«, sagte er bewundernd, »du bist manchmal wie ein
Stückchen von dieser Torte, die Genialität heißt.
20
Tony und ich saßen vor dem großen Fenster
in einem rund um die Uhr geöffneten Café auf der Seventh
Avenue. Von hier konnten wir ungehindert auf die der Innenstadt
zugewandten Seite des Gebäudes 1407 Broadway sehen. Gegen
einundzwanzig Uhr wurde die Straße langsam leerer. Im Laufe des
Abends wird die Gegend zwischen der Einkaufsstraße Thirty-fourth
Street und der belebten Unterhaltungsmeile auf der Forty-second Street
zum windigen Tal, das von den wenigen Passanten schnell durchquert
wird. Je kälter es ist, desto schneller laufen sie. Und heute war
ein sehr kalter Abend.
»Glaubst du, daß sie kommen wird,
Alice?« fragte Tony, zog sich die Wollmütze tiefer in die
Stirn und schüttete die übliche Riesenmenge
gräßlichen weißen Zuckers in seinen Kaffee.
»Wenn der Briefträger mich nicht im Stich
gelassen hat«, sagte ich. »Ich bin überzeugt davon,
daß sie kommen wird. Wenn sie alle diese Postkarten gekriegt
haben, muß sie einfach kommen.«
Tony schaute sich um. »Ich frage mich, wie
lange sie uns wohl noch hier sitzen lassen werden, bevor sie zu der
Überzeugung gelangen, daß wir Drogenhändler sind.«
»Solange wir Kaffee bestellen, ist denen bestimmt egal, wer wir sind.«
»Aber wieviel Liter werden wir wohl noch schaffen?«
Anstelle einer Antwort deutete ich auf die
große Plastikmülltonne, die nur ein paar Schritte von uns
entfernt an der Tür stand. Tony nickte. Er hatte verstanden. Hol
dir einen Plastikbecher voll Kaffee, nimm ein paar Schlucke und
schmeiß den Rest weg.
Der kalte Wind zog durch das Fenster herein, aber wir
hatten uns auf einen längeren Aufenthalt in der Kälte
eingestellt und warm angezogen. Es war merkwürdig entspannend,
hier zu sitzen, schlechten Kaffee zu trinken und auf diesen riesigen
Steinklotz zu starren, der den ganzen Block einnahm.
Wie immer war Tony nostalgisch gestimmt und schwelgte
in Erinnerungen: An uns, damals, in den alten Zeiten, wie er sich
ausdrückte. Als wir so ehrgeizig waren, so arrogant, als wir
wußten, worum es ging: um die Wahrheit und die Schönheit und
Tennessee Williams. Ich sagte nicht viel, hörte ihm zu und nickte.
Nostalgie ist harmlos, solange sie keine Auswirkungen auf
zukünftige Taten hat. Wie Simone Signoret gesagt hat, Nostalgie
ist auch nicht mehr, was sie einmal war.
Es war sechzehn Minuten nach zehn - jedenfalls auf
der schrecklichen alten Uhr voller Fliegendreck mit dem Budweiser-Logo
-, als wir die elegante schwarze Limousine sahen, die vom Broadway in
die Seventh Avenue einbog und an dem Gebäude entlangfuhr. Tony und
ich waren nicht nur mit Kaffee abgefüllt, sondern hatten auch
mindestens zwei Päckchen eines sonderbaren Krauts, das
»Yankee Doodles« hieß, niedergemacht.
Wir wechselten einen schnellen Blick, halb
ängstlich, halb erwartungsvoll, und waren bereit zum Aufbruch.
Aber der Wagen fuhr weiter und war bald nicht mehr zu sehen.
Aber fünf Minuten später tauchte
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