Eine Kiste explodierender Mangos
Schuld bewusst und fühlte sich wohl in ihrer Zelle, die als die schwarze Zelle bezeichnet wurde, weil sie die Todeskandidatinnen beherbergte. Sie bewohnte diese Zelle wie ein Zuhause. Am Morgen nach dem Aufwachen reinigte sie die Zelle, massierte die FüÃe ihrer schwangeren Mitinsassin und ölte dann ihr eigenes Haar. Nachdem sie die Vögel gefüttert hatte, pflegte sie, andere Zellen aufzusuchen und dort die FüÃe von zwei weiteren Schwangeren zu massieren. âWarum sollte jemand eine arme Blinde töten?â, war ihre stets wiederkehrende Antwort auf all die Aufregung, die ihr Anwalt und die Frauengruppen vor dem Gefängnis wegen ihres Todesurteils veranstalteten. Selbst die Oberaufseherin achtete sie wegen ihrer Höflichkeit und ihrer Bereitschaft, den anderen Gefangenen zu helfen und ihre Kinder im Koran zu unterrichten. Zainab war ihre Lieblingsgefangene. Sie hatte ihr auch die Sonnenbrille geschenkt, die General Zia so erboste. âSie wird dich vor der Sonne schützen.â Zainab hatte sie lächelnd entgegengenommen, ohne sich zu beklagen, ohne Selbstmitleid, ohne darauf hinzuweisen, dass das Licht der Sonne nie in ihre toten Augen dringen konnte. Die Augen hinter der Brille waren vollständig weiÃ. Zainab war ohne Hornhaut auf die Welt gekommen. Bei ihrer Geburt hatte man natürlich sofort von einem schlechten Omen gesprochen, aber ihr Gesicht war so strahlend und ihre anderen Sinne so ausgeprägt, dass man das glücklose Kind akzeptierte. Und auch sie selbst hatte das Beste aus ihrer Situation gemacht. Selbst jetzt, wo sie die erste Frau war, die nach dem neuen Gesetz zu Tode gesteinigt werden sollte, bewies sie eine rätselhafte seelische Kraft, mit der sie die Aktivistinnen verblüffte, die auf der StraÃe und vor Gericht für sie kämpften. âSteinigen?â, hatte sie nach der Urteilsverkündung gefragt. âWie sie es beim Hadsch in Mekka mit dem Teufel machen? Das versuchen sie dort schon seit Jahrhunderten, aber töten konnten sie ihn bis jetzt nicht. Wie wollen sie da eine gesunde Frau wie mich umbringen?â
Nachdem sie die Sonnenbrille einige Tage getragen hatte, lernte Zainab sie zu schätzen. Sie hatte nicht mehr so starke Kopfschmerzen, wenn sie zu lange in der Sonne gestanden hatte. Und sie konnte die Kinder ihrer Mitgefangenen zum Lachen bringen, wenn sie sie abnahm und ihnen ihre milchweiÃen Augen zeigte.
Zainab hörte einen lauteren, schwereren Flügelschlag und das panische Geflatter der Spatzen, die dennoch nicht die Flucht ergriffen. Einige blieben in der Luft, andere entfernten sich von ihr. Einen Augenblick hielt sie beim Verteilen der Brotkrumen inne. Sie überlegte, wie sie die Spatzen schützen konnte. Sie wollte ihr Futter nicht den Krähen geben. Doch dann fiel ihr ein, dass ihr in ihrer Kindheit eine Krähe an vielen dunklen Tagen Gesellschaft geleistet hatte. Wieder ein schlechtes Omen, hatten die Dorfbewohner gesagt, aber Zainab mochte die Krähe und bewahrte stets ein bisschen Brot für sie auf. Ob es dieselbe sein konnte? Sie riss doch noch ein paar Stückchen von ihrem Gefängnisbrot ab und warf sie hinaus. Was, wenn die Krähe wirklich Hunger hatte? Alle Gefangenen, die sie kannte, und sogar einige der Wärterinnen fütterten nur die Spatzen.
Zainab hörte, wie die Wärterin sich näherte, und erkannte an ihrem Gang, dass sie schlechte Nachrichten brachte. Sie versuchte, nicht auf die schuldbewussten Schritte zu achten, und fuhr fort, die Vögel zu füttern. Sie wusste, dass die Krähe inzwischen den Hof beherrschte. Bis auf zwei waren alle Spatzen geflüchtet. Diese umkreisten noch immer das Gebiet, das die Krähe nun für sich beanspruchte. Sooft sie ihnen den Rücken zukehrte, schossen sie nieder, um einen Krümel zu ergattern und sofort wieder in sichere Entfernung zu flüchten. Zainab spürte die ständige Fluchtbereitschaft ihrer Flügel auf ihren Fingerspitzen. Sie spürte aber auch, dass die Spatzen ein Spiel spielten. Sie probierten, wie nah einer kommen konnte, wenn der andere die Krähe ablenkte.
Der Schatten der Wärterin blockierte die Sonne. Zainab konnte an ihrem Schweià riechen, dass es Schwierigkeiten gab. Die Frau atmete heftig, trat von einem Fuà auf den anderen, versuchte so zu tun, als sei sie nicht da.
Es mussten wirklich schlechte Neuigkeiten sein.
Aber wie schlecht konnten sie für eine zum Tode
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