Eine Klasse für sich
auch.« Zum ersten Mal im Leben konnte ich mir einen fernen Tag vorstellen, an dem ich dem Ganzen eine komische Seite abgewinnen könnte.
Sie strich mir übers Haar, oder was davon übrig war. »Du hättest bleiben sollen. Ihr hättet beide bleiben und darüber lachen sollen.«
»Das konnte ich nicht.« Sie machte keine Einwände mehr, und gemeinsam ließen wir die bitteren Erinnerungen los und kehrten in die herrliche Gegenwart zurück. Plötzlich durchströmte mich das Gefühl, dass es mir freistand, sie zu berühren, wie ein Kind endlich daran glaubt, dass es wirklich Weihnachten ist. Ich hob die Hand und zeichnete mit dem Finger ihre Lippen nach.
Sie küsste ihn sanft. »Du weißt gar nicht, wie sehr du mir über dunkle Zeiten hinweggeholfen hast, und das ist mein Dank.« Sie schob sich näher, ihr Mund näherte sich dem meinen, und wir begannen, wie man so sagt, uns zu lieben. Viele Male in meinem Leben waren diese Worte keine zutreffende Beschreibung der Aktivität, auf die sie sich bezogen, doch diesmal waren sie wahr wie das Evangelium. Was wir an diesem gesegneten Morgen im Bett machten, war Liebe pur. Und es tat der Leidenschaft nicht den geringsten Abbruch, dass ich in meinen Armen eine reife Fünfzigerin hielt und nicht das aufblühende Mädchen, nach dem ich vor so vielen Jahren gelechzt hatte. Endlich war sie meine Serena, gehörte sie mir. Ich hielt sie in meinen Armen und gehörte dieses eine Mal ganz ihr. Und auch wenn mich ihre Nähe so erregte, dass ich bei der nächsten Berührung explodieren zu müssen glaubte, war dieses Gefühl, das mich wie Lava durchströmte, als ich in sie eindrang, nicht nur sexuelle Erregung, sondern vollkommenes Glück. Es klingt sentimental, was ich in der Regel nicht bin, aber dieser Moment in meiner geliebten Serena, dieses Gefühl, zum ersten und wohl einzigen Mal im Leben von ihrem Körper umfangen zu sein, nachdem ich vierzig Jahre lang darauf gewartet hatte – das war der glücklichste Augenblick, der Höhepunkt, die Krönung meines Daseins. Ich erwarte nicht, dass ich noch einmal Vergleichbares erlebe, bevor ich ins Grab sinke.
Ich will mich nicht als gewandter Liebhaber brüsten. Vermutlich bin ich nicht besser oder schlechter als die meisten Männer, aber wenn ich jemals wusste, was ich tat, dann an jenem Tag. Ich hätte wohl Schuldgefühle haben sollen, aber ich hatte keine. Ihr Mann besaß das Geschenk ihres gesamten Erwachsenenlebens, würde seinen
Wert aber nie zu schätzen wissen. Ich dagegen kannte Serenas Wert und meinte, diese Stunde mit ihr verdient zu haben. Froh und erleichtert kann ich berichten, dass mein müder, beleibter, schlaffer Körper der Herausforderung an den Pforten des Paradieses gerecht wurde. Nie bin ich so sehr in der Gegenwart aufgegangen, alles andere verschwand in der Versenkung. In jenen Minuten hatte ich keine Zukunft und keine Vergangenheit, nur Serena. Wir liebten uns dreimal, dann glitt sie davon. Und als ich zur gerafften Seide des Betthimmels hochstarrte, war ich ein anderer Mann als der, der sich schlafen gelegt hatte. Ich hatte die Frau geliebt, der meine ganze Liebe gehörte. Sie, die mein Herz schon besaß, hatte meinem restlichen Ich ihren Körper geöffnet. Eine größere Freude ist uns nicht beschieden. Nicht auf Erden. Wie ein Echo von Candidas Worten stieg in mir die Erkenntnis auf, dass ich nach diesem einmaligen Ereignis, dieser einzigen Stunde in einem langen Leben, in der ich wahre, bedingungslose Seligkeit erleben durfte, nie wieder traurig sein würde. Das dachte ich damals, das denke ich heute, und ich bin unendlich dankbar dafür. Wenn Damians Suche mich hierhergeführt hatte, dann war ich belohnt worden, mit weit mehr, als einem Sterblichen zukommt.
Portugal und danach
15
Die verhängnisvolle Einladung nach Portugal kam aus heiterem Himmel. Eines Tages klingelte in der Wohnung meiner Eltern, wo ich nolens volens immer noch wohnte, das Telefon. Als ich abhob, fragte eine vertraute Stimme nach mir. »Ich bin selber dran«, antwortete ich.
»Na, das war ja einfach. Ich dachte schon, ich müsste zig Nummern abtelefonieren, um dir auf die Spur zu kommen. Ich bin’s, Candida. Candida Finch.«
»Hallo!« Es gelang mir nicht, meine Überraschung ganz zu verbergen. Wir waren nie besonders eng befreundet gewesen.
»Ich weiß schon, dass du dich fragst, warum ich anrufe. Ich möchte dich einladen – könnte ich dich vielleicht nach Estoril locken? Willst du dich Ende Juli zwei Wochen lang unserem
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