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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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und verbanden die Wunde sie war nur klein — und dachten nicht weiter daran. Drei Wochen später wurde die Frau in delirösem Zustand in ein Krankenhaus in Dallas eingeliefert, »hochgradig erregt« und unfähig zu sprechen oder zu schlucken, die Augen angsterfüllt. Man konnte ihr nicht mehr helfen. Denn Tollwut kann man nur kurieren, wenn die Behandlung sofort erfolgt. Wenn sich die Symptome erst einmal zeigen, ist es zu spät. Nach vier Tagen unsäglichen Leidens sank die Frau ins Koma und starb.
    Jetzt hörte man, dass über einen Zeitraum von vier Jahren vereinzelt auch in anderen Gegenden Menschen von tollwutkranken Fledermäusen gebissen worden waren, zwei in Pennsylvania, jeweils einer in Florida, Massachusetts und Kalifornien, noch zwei in Texas. Daraus entstand keineswegs eine Epidemie, aber doch Grund zur Beunruhigung. Schließlich kam ein Beamter der Gesundheitsbehörde in Texas, Dr. George C. Menzies, am Neujahrstag 1956 mit Tollwutsymptomen in ein Krankenhaus in Austin. Menzies hatte Höhlen in Zentraltexas studiert, um Beweise für tollwutkranke Fledermäuse zu suchen, war aber, soweit man wusste, weder gebissen worden noch sonst wie mit Tollwut in Berührung gekommen. Doch aus irgendeinem Grunde war er infiziert und starb nach nur zwei Tagen stationären Aufenthalts auf die übliche Weise, unter furchtbaren Qualen, die Augen groß wie Untertassen.
    Über diesen Fall wurde breit berichtet, und es folgte ein regelrecht hysterischer Rachefeldzug. Beamte auf höchster Ebene befanden, Vernichtung sei nun dringlich geboten, ja unumgänglich. Die armen amerikanischen Fledermäuse wurden die Tiere mit den wenigsten Freunden. Jahrelang wurden sie gnadenlos verfolgt, die Populationen in vielen Gegenden schrecklich dezimiert, die größte Kolonie der Welt in Eagle Creek in Arizona von dreißig Millionen auf dreitausend.
    Merlin D. Tuttle, der führende Fledermausexperte und Gründer von Bat Conservation International, einer Stiftung zum Schutz der Fledermäuse, erzählte 1988 im New Yorker folgende Geschichte: Beamte der Gesundheitsbehörden in Texas sagten einem Farmer, wenn er nicht die Fledermäuse in einer Höhle auf seinem Land vernichte, liefen er, seine Familie und sein Vieh Gefahr, sich mit Tollwut anzustecken. Auf Anweisung goss der Farmer Kerosin in die Höhle und zündete es an. In dem Fegefeuer kam ungefähr eine Viertelmillion Fledermäuse um. Als Tuttle den Farmer später interviewte und ihn fragte, seit wann die Farm im Besitz der Familie sei, erhielt er zur Antwort, seit etwa einem Jahrhundert. Ob man in der ganzen Zeit nie von Tollwut belästigt worden sei, fragte Tuttle weiter. Nein, erwiderte der Farmer.
    »Als ich ihm erklärte, wie wertvoll die Fledermäuse seien und was er da getan habe, brach er zusammen und weinte«, erzählte Tuttle und wies darauf hin, dass »jedes Jahr .mehr Menschen nach Picknicks mit ihrer Kirchengemeinde an Lebensmittelvergiftung sterben als Menschen nach Kontakt mit Fledermäusen«.
    Heute gehören die Fledermäuse zu den gefährdetsten Tieren. Etwa ein Viertel steht auf der Liste bedrohter Arten — ein erstaunlich und, ja, erschreckend hoher Anteil für solch ein vitales Tier —, und über vierzig Arten sind kurz vorm Aussterben. Weil Fledermäuse so zurückgezogen leben und oft sehr schwer zu beobachten sind, bleibt vieles über die Anzahl der Populationen im Ungewissen. In Großbritannien weiß man zum Beispiel nicht, ob es siebzehn oder sechzehn überlebende Arten gibt. Die Experten haben nicht genug Beweise, ob das Große Mausohr ausgestorben oder nur untergetaucht ist.
    Sicher allerdings ist, dass es vielerorts noch erheblich schlimmer werden kann. Anfang 2006 entdeckte man bei Fledermäusen, die in einer Höhle im Staat New York ihren Winterschlaf hielten, eine äußerst tödliche neue Pilzerkrankung namens Weißnasensyndrom (das Haar um die Nase der Opfer wird weiß). An der Krankheit sterben bis zu 95 Prozent der infizierten Tiere; sie hat schon auf ein halbes Dutzend anderer Bundesstaaten übergegriffen und wird sich mit Sicherheit weiter verbreiten. Noch Ende 2009 hatten die Forscher keine Ahnung, was an dem Pilz den Wirt umbringt, wie er sich verbreitet, wo er ursprünglich herkommt oder wie man ihm Einhalt gebieten kann. Sicher weiß man nur, dass er besonders in kalten Bedingungen gedeiht — keine guten Neuigkeiten für die Fledermäuse fast überall in Nordamerika, Europa und Asien.
    Aber nicht immer werden Tierpopulationen dezimiert, muss man

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