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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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die Apollo-Mission auf dem Weg zum Mond einen unbekannten Erdtrabanten entdeckt, der die Erde umkreiste und allen Astronomen entgangen war. In seiner Weigerung, sich seine Unwissenheit einzugestehen, war Kolumbus noch ein Mensch des Mittelalters. Er war überzeugt, dass er die ganze Welt kannte, und selbst seine eigene Entdeckung konnte ihn nicht vom Gegenteil überzeugen.
    Der erste moderne Mensch war Amerigo Vespucci, ein italienischer Seefahrer, der zwischen 1499 und 1504 an mehreren Expeditionen nach Amerika teilnahm. Zwischen 1502 und 1504 wurden in Europa unter seinem Namen zwei Briefe veröffentlicht, die diese Expeditionen beschrieben. In diesen Briefen hieß es, die neuen Inseln, die Kolumbus gefunden hatte, befanden sich nicht etwa vor der Küste Ostasiens, sondern gehörten zu einem eigenen Kontinent, den weder die Bibel noch die Geographen der Antike oder die zeitgenössischen Europäer kannten. Ein angesehener Kartenzeichner namens Martin Waldseemüller ließ sich von diesen Argumenten überzeugen; im Jahr 1507 druckte er eine aktualisierte Weltkarte, auf der er die entdeckten Inseln erstmals als neuen Kontinent einzeichnete. Da er fälschlicherweise davon ausging, Amerigo Vespucci sei der Entdecker, beschloss Waldseemüller, den neuen Kontinent nach ihm zu benennen: Amerika. Waldseemüllers Karte erfreute sich großer Beliebtheit und wurde von zahlreichen Kartographen kopiert. Auf diese Weise verbreitete sich der Name des neuen Kontinents. So falsch der Name ist, im Grunde ist es nur gerecht, dass ein Viertel der Welt nach einem unbekannten Italiener benannt wurde, an den wir uns heute nur deshalb erinnern, weil er den Mut hatte zu sagen, »Wir wissen es nicht«.

    25. Die Salviati-Karte aus dem Jahr 1525. Während die Weltkarte aus dem Jahr 1459 voller Kontinente, Inseln und detaillierter Erläuterungen ist, besteht die Salviati-Karte fast nur aus weißen Flecken. Das Auge wandert die amerikanische Küste hinunter, von Brasilien über Argentinien bis nach Feuerland, und läuft dort ins Leere. Wer auch nur das geringste bisschen Neugierde mitbringt, fragt nach einem einzigen Blick auf die Karte sofort: »Aber wie geht es dahinter weiter?« Die Karte gibt keine Antworten. Sie lädt den Betrachter ein, selbst in See zu stechen und es herauszufinden.
    Das war die Geburtsstunde der wissenschaftlichen Revolution. Mit der Entdeckung Amerikas lernten die Europäer, neuen Beobachtungen größeres Gewicht beizumessen als alten Überlieferungen, und der Wunsch, Amerika zu erobern, zwang sie, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit neues Wissen zu erwerben. Um dieses riesige neue Land wirklich beherrschen zu können, mussten sie gewaltige Mengen an Information über Geographie, Klima, Flora, Fauna, Sprachen, Kulturen und die Geschichte des Kontinents sammeln. Die Bibel, alte Atlanten und mündliche Überlieferungen halfen ihnen dabei nicht weiter.
    Bald lernten nicht nur die Kartographen, sondern auch europäische Wissenschaftler aller anderen Disziplinen, Karten mit weißen Flecken zu zeichnen. Sie gaben zu, dass ihre Theorien alles andere als vollständig waren, und dass es eine Menge wichtiger Dinge gab, von denen sie nicht die geringste Ahnung hatten.
    *
    Die weißen Flecken auf der Landkarte übten eine magische Anziehungskraft auf die Europäer aus, und sie machten sich daran, einen nach dem anderen auszufüllen. Während des 15. und 16. Jahrhunderts umsegelten europäische Expeditionen Afrika, erforschten Amerika, überquerten den Pazifischen und den Indischen Ozean und errichteten rund um den Globus ein Netzwerk von Stützpunkten und Kolonien. Sie gründeten die ersten Weltreiche, die diesen Namen verdienten, und schufen das erste weltumspannende Handelsnetz. Mit ihren kolonialen Abenteuern bereiteten die Europäer der Geschichte der isolierten Völker und Kulturen ein Ende und fügten die Welt zu einer einzigen Gesellschaft zusammen.
    Die Mischung aus Expedition und Eroberung, wie sie die Europäer betrieben, erscheint uns heute derart vertraut, dass wir kaum nachvollziehen können, wie revolutionär sie damals war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es nichts Vergleichbares gegeben. Eroberungsexpeditionen in ferne Länder sind keine naheliegenden Unternehmungen. Die meisten menschlichen Gesellschaften der Geschichte waren derart beschäftigt mit den Konflikten vor ihrer eigenen Haustür, dass es ihnen nie in den Sinn gekommen wäre, andere Erdteile zu erkunden und zu erobern. Die meisten Großreiche

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