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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Millionen von Unbekannten einer einzigen großen Gemeinschaft angehören und eine gemeinsame Vergangenheit, gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Zukunft haben. Das ist keine Lüge, sondern lediglich ein Fantasieprodukt. Genau wie das Geld, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die Menschenrechte sind Nationen und Verbraucher intersubjektive Wirklichkeiten. Sie existieren zwar nur in unserer kollektiven Vorstellung, doch ihre Macht ist gewaltig. Solange Millionen von Deutschen an die Existenz der deutschen Nation glauben, sich mit deutschen Symbolen identifizieren, deutsche Mythen weitererzählen und bereit sind, Geld, Zeit und Gesundheit für diese Nation zu opfern, solange wird Deutschland eines der mächtigsten Länder der Welt bleiben.
    Die Nation tut ihr Möglichstes, um zu verschleiern, dass sie lediglich ein Fantasieprodukt ist. Die meisten Nationen tun so, als seien sie ein natürliches und unsterbliches Wesen, das irgendwann in grauer Vorzeit entstand, als sich die Erde des Vaterlandes mit dem Blut der Menschen vermischte. Das sind natürlich Märchen. Nationen reichen zwar ein Stückchen in die Geschichte zurück, aber sie spielten nie eine wichtige Rolle, weil der Staat nie eine wichtige Rolle spielte. Es mag durchaus sein, dass eine Einwohnerin des mittelalterlichen Nürnberg schon einmal von der deutschen Nation gehört hatte, aber ihre Loyalität galt ihrer Familie und ihrer Gemeinschaft, die sich um ihre Bedürfnisse kümmerte. Aber egal wie wichtig oder unwichtig frühere Nationen auch gewesen sein mögen, die wenigsten haben überlebt. Die meisten modernen Nationen entstanden erst nach der Industriellen Revolution.
    Dafür bietet der Nahe Osten zahlreiche Beispiele. Staaten wie Syrien, Jordanien, der Libanon oder der Irak sind das Produkt willkürlicher Linien, in den Sand gezogen von französischen und britischen Diplomaten, die von der Geschichte, Geographie und Wirtschaft der Region keine Ahnung hatten. Im Jahr 1918 beschlossen diese Diplomaten, dass die Einwohner von Kurdistan, Bagdad und Basra fortan »Iraker« zu sein hatten. Die Franzosen entschieden, wer Syrer wurde und wer Libanese. Saddam Hussein und Hafiz el-Assad taten ihr Bestes, auf diesem anglo-französischen Erbe aufzubauen, doch ihr bombastisches Gerede von den angeblich unsterblichen irakischen und syrischen Nationen klang hohl.
    Natürlich lassen sich Nationen nicht einfach aus dem Nichts erschaffen. Die Gründer der irakischen und syrischen Nationen benutzten dazu historisches, geographisches und kulturelles Baumaterial, das Jahrhunderte oder Jahrtausende zurückreicht. Saddam Hussein griff in die Kiste des Abbasidenkalifats und des Babylonischen Reichs und gab einer seiner Eliteeinheiten sogar den Namen »Hammurabi-Division«. Aber das machte den modernen irakischen Staat noch nicht zu einer Jahrtausende alten Einrichtung. Wenn ich in meinem Küchenschrank Mehl, Öl und Zucker finde, die dort schon seit undenklichen Zeiten herumliegen, und daraus einen Kuchen backe, dann ist der Kuchen selbst nicht uralt.
    In den vergangenen Jahrzehnten stehen die nationalen Gemeinschaften zunehmend im Schatten von Verbrauchergruppen, die einander nicht kennen, aber dieselben Konsumgewohnheiten und Interessen haben und sich selbst als Angehörige einer Gemeinschaft wahrnehmen und sogar so definieren. So sonderbar das klingen mag, wenn Sie sich umsehen, finden Sie überall Beispiele dafür. Lady Gaga-Fans sind beispielsweise so eine Gemeinschaft von Verbrauchern. Sie definieren sich vor allem über den Konsum von ganz bestimmten Produkten: Sie kaufen Konzertkarten, CD s, Poster, T-Shirts und Klingeltöne und geben sich dadurch eine Identität. Andere Beispiele sind Fans des FC Bayern München, Vegetarier oder Umweltschützer. Auch sie definieren sich vor allem über ihr Konsumverhalten, das für ihre Identität eine entscheidende Rolle spielt. Eine deutsche Vegetarierin heiratet vermutlich lieber einen französischen Vegetarier als einen deutschen Fleischesser.
    Perpetuum mobile
    Die Revolutionen der vergangenen zwei Jahrhunderte verliefen so umfassend und schnell, dass sie selbst vor einer der grundlegenden Eigenschaften der Gesellschaft nicht Halt machten. Früher war die gesellschaftliche Ordnung fest und unflexibel. »Ordnung« bedeutete Stabilität und Kontinuität. Plötzliche gesellschaftliche Umwälzungen waren die Ausnahme, die meisten Veränderungen ergaben sich aus der Summe vieler Trippelschritte. Die Menschen gingen davon

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