Eine Lady nach Maß
von dem Ergebnis so begeistert, dass sie gleich ihre Schere nahm und auch die restlichen Stoffe zuschnitt. Sie entschied sich, doch gleich mehrere Brottücher fertigzustellen und jeder neuen Kundin eines mitzugeben. Das würde sich hoffentlich sehr schnell herumsprechen und auch die Frauen von den Farmen, die außerhalb der Stadt lagen, anlocken.
Als sie gerade an ihrem sechsten Brottuch arbeitete, öffnete sich die Tür ihres Geschäftes. Eine Kundin?
„Guten Tag“, sagte sie, als sie ihren Kopf hob. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
Cordelia Tucker kam durch den Raum auf sie zu. „Oh, Hannah, das ist alles so wunderschön!“
„Cordelia!“ Hannah ging rasch um die halbhohe Wand herum, die ihren Arbeitstisch vom Rest des Geschäftes abtrennte. „Ich bin so froh, dass Sie hier sind. Heute war es schrecklich ruhig.“
„Ich bin sicher, in den nächsten Tagen bekommen Sie mehr Kunden. Wie könnte es bei so hübschen Kleidern anders sein!“ Sie befühlte ein grünes Seidenkleid, das an einem Haken an der Wand hing. Die Sehnsucht stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Louisa James und ihre beiden Mädchen waren die Einzigen, die heute hier waren. Ich war wirklich sehr entmutigt, bis sie mich auf eine gute Idee gebracht hat, die mir hoffentlich helfen wird, neue Kunden zu werben.“ Hannah erklärte kurz die Idee mit den Brottüchern und war erleichtert, als sie merkte, dass Cordelia begeistert von der Idee war.
„Und da Sie die Nächste nach Louisa sind, die mein Geschäft betritt, haben Sie die größte Auswahl.“ Hannah schob ihre Freundin hinüber zu ihrem Arbeitstisch. „Suchen Sie sich einen Stoff aus. Während Sie sich umschauen, mache ich Ihnen das Tuch fertig.“
Cordelia zögerte. „Oh, aber ich bin nicht hier, um mir ein Kleid zu kaufen. Ich wollte nur mal schauen, wie es Ihnen geht.“
Hannah legte ihre Hände auf Cordelias Schultern und drängte sie noch ein bisschen näher an den Tisch. „Sie müssen nichts kaufen. Jeder, der in mein Geschäft kommt, erhält ein solches Tuch.“
Das dunkelblaue Wollkleid, das Cordelia trug, schmeichelte ihrer Erscheinung und ihrer Figur nur ein ganz klein wenig besser als das braune, das sie gestern angehabt hatte. Hannah wünschte sich, sie könnte der jungen Frau mit ein paar Farben Leben ins Gesicht zaubern.
Cordelia wählte einen grünen Stoff für ihr Geschenk aus. Sie schien Grün zu mögen. Hannah bemerkte das und überlegte schon, welche Kleiderstoffe sie Cordelia anbieten könnte. Ein Salbeigrün wäre sicher interessant.
„Sie müssen nichts kaufen“, erinnerte Hannah sie noch einmal. „Schauen Sie sich einfach um. Und sehen Sie auch in die Kataloge. Wir können uns unterhalten, während ich nähe.“
„J.T. würde sagen, dass es gefährlich ist, sich Dinge anzuschauen, die man sich nicht leisten kann.“ Cordelia blätterte vorsichtig durch einen Katalog. „Es öffnet nur Türen zur Versuchung.“
Hannah knirschte mit den Zähnen und setzte sich an die Nähmaschine. „Ich vermute, dass diese Gefahr wirklich bestehen könnte. Aber es ist doch nicht schlimm, wenn man Schönheit bewundert und sich inspirieren lässt. Es ist ein bisschen wie Spielen. Mädchen spielen gerne, dass ihr Sandhaufen ein köstlicher Schokoladenkuchen ist, aber sie haben genug Verstand, um ihn nicht wirklich zu essen. Der Spaß liegt in der Vorstellung.“
Cordelia hob ihren Blick vom Katalog und lächelte Hannah an. Ihre Augen funkelten. „Ich habe es geliebt, mit Sandkuchen zu spielen.“ Sie warf einen Blick über ihre Schulter, als befürchtete sie, dass jemand hinter ihr stand und sie belauschte. „Ich respektiere meinen Bruder sehr, aber manchmal ist er wirklich ein bisschen engstirnig.“
„Das ist noch milde ausgedrückt“, murmelte Hannah.
Cordelia zog fragend eine Augenbraue hoch. Das schien in dieser Familie üblich zu sein. Doch es wirkte viel weniger arrogant, wenn Cordelia es tat.
„Ihr Bruder war mir eine große Hilfe, seit ich hier angekommen bin, Cordelia, aber mit seinen Stimmungsschwankungen verunsichert er mich wirklich. Mag er alle Menschen so wenig oder liegt es irgendwie an mir?“
Hannah trat fest und ärgerlich auf das Pedal der Nähmaschine.
Cordelia kicherte. Jetzt erst bemerkte Hannah, dass ihre Worte auch sehr verletzend hätten verstanden werden können. „Er wirkt manchmal ein bisschen rau, wenn man ihn nicht kennt. J.T. ist nicht gerade das, was ich umgänglich nennen würde, aber er hat ein gutes Herz.“
Hannah
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