Eine Lady nach Maß
nachzudenken. Das wäre sicher nicht mitten im Gottesdienst.
Jericho Tucker sollte seine Blicke für sich behalten. Sie konnte es nicht gebrauchen, dass er alles noch verkomplizierte. Was sie brauchte war … war …
„Lasst uns beten.“ Die Stimme des Predigers fuhr in ihre Gedanken und in ihr Herz.
Ja, Herr. Danke für die Erinnerung. Das ist genau das, was ich brauche.
Hannah beugte den Kopf, aber in dem Moment, als sie die Augen schloss, war alles, was sie sehen konnte, der Mann, der zwei Reihen vor ihr saß.
Kapitel 13
G egen Mittag des nächsten Tages saß Hannah an ihrer Nähmaschine. Da sie die Puppen für die Mädchen fertig hatte und kein anderer Auftrag in Sicht war, hatte sie beschlossen, die Vorhänge um ihr Bett ein wenig zu verschönern. Sie hatte die Falten gebügelt, die deshalb entstanden waren, weil der Stoffballen so lange im Laden gelegen hatte, und das Gesicht verzogen, als sie merkte, wie sehr die Farbe des Vorhanges das Aussehen ihrer Haut veränderte. Als Kleid hätte niemand diesen Stoff tragen können, ohne leichenblass zu wirken. Warum hatte es unbedingt orange sein müssen?
Hannah seufzte und machte sich wieder an die Arbeit. Mrs Granbury hatte ihre Angestellten immer daran erinnert, dass eine mittelmäßige Schneiderin eine schöne Kundin außergewöhnlich aussehen lassen konnte, eine außergewöhnliche Schneiderin aber konnte eine mittelmäßige Kundin wunderschön machen. Wenn diese Aussage auch für Stoff galt, war diese Aufgabe ein wahrer Prüfstein ihrer Fähigkeiten. Zum Glück musste sie den Stoff nicht tragen, also brauchte sie sich keine Gedanken um seine Wirkung auf ihr Aussehen zu machen. Hannah beendete den Saum und schnitt den Fadenrest ab. Um ihre Vorurteile zu bekämpfen, trat sie von der Nähmaschine zurück und hielt den Stoff in Armeslänge vor sich. Sie versuchte, den Stoff als neutrale Betrachterin zu sehen.
Viele Leute fanden, dass Orange warm und angenehm war. Gott hatte vielen seiner Kreationen diese Farbe gegeben – Schmetterlingen, dem Sonnenuntergang und den kleinen Wildblumen, die am Weg zum Fluss wuchsen. Wenn der Herr Schönheit in dieser Farbe sah, wollte sie es auch. Die Farbe passte auf jeden Fall zum Herbst, mit seinen orangen Blättern, den Kürbissen und der Marmelade, die ihre Mutter früher immer gekocht hatte. Die Erinnerung durchflutete Hannah und wärmte ihr Herz. Vielleicht war Orange doch nicht so schrecklich.
Ihre Arme fingen an zu schmerzen, also ließ sie den Stoff auf den Arbeitstisch sinken und faltete ihn ordentlich zusammen. Im richtigen Licht würde er vielleicht fröhlich und freundlich aussehen. Und Freundlichkeit war genau das, was sie brauchte. Und Ermutigung, wenn sie daran dachte, dass sie keine Kunden hatte.
Noch nicht.
Hannah presste die Hände in die müden Muskeln ihres Rückens.
Sie hatte noch keine Kunden. Aber das würde sich ändern. Es musste sich ändern. Sie hatte fast ihr gesamtes Geld für neue Stoffe und Nähutensilien ausgegeben. Wenn sie nicht bald Geld verdiente, würde sie bis Weihnachten aufgeben müssen.
Sie hatte gehofft, dass Ezras neues Hemd Interesse erregen würde, aber die Leute waren mehr über seine äußere Verwandlung überrascht als über die Qualität seines Hemdes. Was ja eigentlich auch gut war. Ezra verdiente es, von der Gemeinde freundlich aufgenommen zu werden, nachdem er so lange als Außenseiter gelebt hatte. Hannah freute sich für ihn. Wirklich.
Wenn sie nur endlich eine Bestellung hätte! Nur eine einzige Frau musste sich trauen, Hannahs Fähigkeiten in Anspruch zu nehmen. Wenn andere sahen, was für einen Effekt ein gut geschnittenes Kleid in einer sorgfältig ausgewählten Farbe hatte, würden sie ihren Weg zu der neuen Schneiderin finden.
Da Hannah etwas tun musste, um sich abzulenken, nahm sie sich einen Staubwedel und wischte über die Regale. Als sie auch ihre Ausstellungspuppen abstaubte, sah sie Cordelia auf der anderen Straßenseite stehen. Ihr Gesicht war voller Sehnsucht, während sie das olivefarbene Kleid im Fenster betrachtete. Sie betastete den Stoff ihres eigenen Kleides und fiel in sich zusammen wie eine Blume, die es nach Regen dürstete. Dann straffte sie sich endlich und ging mit energischen Schritten auf Hannahs Geschäft zu.
Hannahs Herz machte einen Sprung. Sie beeilte sich, den Staubwedel hinter dem Tresen verschwinden zu lassen. Dann atmete sie tief ein, strich ihre Schürze glatt und befingerte ihr Haar, um sicherzugehen, dass alles
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