Eine Liebe auf Korfu
Tochter Frances sah, hielt ich sie zunächst für dich, und dann dachte ich, sie wäre deine Schwester. Deine Ähnlichkeit mit ihr und Lady Blackstone ist unverkennbar. Danach schaute ich im Adelskalender nach. Lady Honoria Blackstone, geborene Meredith, ist die Schwester von Edward Charles Meredith, Earl of Hambledon. Im Adelskalender wird ein anderer Bruder erwähnt, der Ehrenwerte Alexander William Langley Meredith. Sonst steht nichts über ihn darin – kein Heirats- oder Todesdatum. Nichts. Aber du hast mir erzählt, dein richtiger Name laute Alexandra. Und am Strand nanntest du den Namen deines Vaters – das kann kein Zufall sein.“
„Wohl kaum.“ Seltsam – warum empfinde ich nichts? Keine Angst, kein Glück – gar nichts. „Vermutlich wird Lady Black stone mich nicht anerkennen, Benedict.“
„Vielleicht ist sie hierher gereist, um nach dir zu suchen. Eigentlich sollte sie zu ihrem Mann nach Venedig fahren. Als ich sie fragte, warum sie diesen Umweg gewählt hatte, wich sie mir aus. Und Lady Trevick erwähnte, Lady Blackstone hätte Verwandte auf der Insel.“
„Warum sollte sie nach mir suchen?“ Alessa hörte, wie bit ter ihre Stimme klang, und räusperte sich. „Nach Mamans Tod schrieb Papa seinen Verwandten und bat sie, mich fi nanziell zu unterstützen. Aber der Brief wurde von den Anwälten meines Großvaters zurückgeschickt.“
„Wusste die Familie deines Vaters, wo du damals warst?“
„Nur dass wir uns irgendwo im Mittelmeer aufhielten.“
„Nun, ich nehme an, dein Großvater hatte Streit mit deinem Papa. Aber jetzt sind die beiden tot, und ich könnte mir vorstellen, dass deine Verwandten eine Versöhnung anstreben. Nach meiner Ansicht hat Lady Blackstone die Reise nach Venedig verschoben und diesen Umweg nur gewählt, um dich zu finden.“
Gewiss, das klang plausibel. „Hat sie sich nach mir erkundigt?“ Alessa kaute an ihrer Unterlippe und starrte auf das Meer hinab. „Hier kennt niemand meinen richtigen Namen.“
„Ich werde mich bemühen, auf möglichst taktvolle Weise herauszufinden, was sie plant.“
„Wie auch immer, ich möchte meinen Verwandten nicht zur Last fallen. Warum sollten sie mich unterstützen?“
„Weil du ihre Nichte bist. Dazu sind sie verpflichtet. Selbst wenn dein Vater ein jüngerer Sohn war, muss er ein gewisses Vermögen geerbt haben – Ländereien, Geldanlagen, die Zinsen einbringen. Außerdem dürfte ihm die Army noch einiges schulden.“
„Aber wenn seine Familie ihn für tot hielt …“
„Um ihn für tot erklären zu lassen, müssen sie sieben Jahre warten. Das Kriegsministerium hätte deinen Verwandten das Datum seines Todes mitgeteilt, wären sie daran interessiert gewesen. Und es gibt keinen Grund, warum sie annehmen sollten, auch du wärst gestorben. Ich nehme an, das Erbe deines Vaters wird treuhänderisch verwaltet. Von Rechts wegen gehört es dir.“
Daran hatte sie noch nie gedacht. Geld für Demetris Ausbildung, eine Mitgift für Dora, ein bescheidenes Einkommen, das ihre Unabhängigkeit garantieren würde … Dann wäre sie nicht auf die Verwandtschaft angewiesen, die Papa den Rücken gekehrt hatte. „Wenn ich die Unterstützung meiner Familie nicht nötig hätte und finanziell unabhängig wäre – vielleicht …“, begann sie zögernd.
„Ich werde Lady Blackstone so taktvoll wie möglich befragen und dir Bescheid geben.“
„An England erinnere ich mich nur ganz vage. Da war es kalt und grau und feucht, und Papa hatte ständig schlechte Laune. Scheint die Sonne auch in England?“
„Gelegentlich“, erwiderte Benedict, amüsiert über ihre Skepsis. „Aber der Regen hat auch gewisse Vorteile. Das ganze Jahr über leuchtet das Gras frisch und grün, die Flüsse führen genug Wasser, und die englische Regenschirmindustrie floriert.“
„Sehr beruhigend“, erwiderte sie bissig. „Wirst du nach England zurückkehren?“
Sobald ihr die Worte herausgerutscht waren, hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen.
Benedict schien nicht zu vermuten, dass sie irgendwelche Hintergedanken hegte. „Nach Hause?“ Er stand auf, ohne das Moos und die winzigen Zweige zu beachten, die an seiner weiten Matrosenhose hingen. „Ja. Von hier aus werde ich mit einem Schiff nach Venedig fahren und dann auf dem Landweg nach England reisen. Die genaue Route habe ich noch nicht festgelegt. Jedenfalls werde ich das Weihnachtsfest daheim verbringen. Und danach muss ich meiner Mutter während der ganzen Saison beistehen.“
„Du
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