Eine Liebe auf Korfu
Bevor der Graf die Tür seines Schlafzimmers öffnete, warf er ihm einen durchdringenden Blick zu.
Um die Situation nicht noch zu verschlimmern, wider stand Benedict dem Impuls, dem Albaner ins Gesicht zu schreien: Diese Frau können Sie nicht haben, sie gehört mir! Stattdessen versprach er, sich in zehn Minuten am Strand einzufinden.
Am nächsten Tag würde Alessa in die Villa ziehen, und er musste sie genauso behandeln wie die drei anderen jungen Damen. Dann würde sie lernen, ihm wieder zu vertrauen – ebenso, wie sie ihre unvermeidliche Rückkehr nach England akzeptieren musste.
„Was, du wirst uns verlassen?“ In Doras großen Augen schimmerten Tränen.
Liebevoll drückte Alessa das kleine Mädchen an sich. „Nein, niemals, ich werde nur ein paar Tage in der Villa wohnen. Heute habe ich meine Tante gefunden, und sie möchte mich besser kennenlernen. Etwas später werde ich sie mit euch bekannt machen. Für sie war das alles sehr aufregend. Vermutlich hätte sie es nicht verkraftet, auch noch meinen Kindern zu begegnen. Und da das Haus nicht ihr gehört, kann sie euch nicht einladen.“
Mit ihrer freien Hand zog sie Demetri zu sich heran. Natürlich verbot ihm sein männlicher Stolz zu weinen. Aber was in ihm vorging, verriet sein zitterndes Kinn.
„Wenn ihr beide nicht so vernünftig wärt, dürfte ich nicht fortgehen“, erklärte sie und setzte sich mit den Kindern auf die Bank unter dem Olivenbaum.
„Warum nicht?“, murmelte Demetri.
„Wer würde sich denn um Tante Kate und Tante Agatha kümmern?“
„Also habe ich jetzt das Sagen?“ Demetris Augen leuchte ten auf.
„Du sorgst für den Garten und die Hühner, Dora ist für den Haushalt zuständig. Ihr müsst darauf achten, dass Tante Kate sich wohlfühlt, und Tante Agatha regelmäßig besuchen. Werdet ihr das schaffen?“
Ernsthaft nickten die beiden, und Doras Tränen versiegten.
„Sehr gut. Ich wusste ja, auf euch kann ich mich verlassen. Jetzt werde ich euch eine wichtige Neuigkeit erzählen. Bald fahren wir nach England.“ Inzwischen stand ihr Entschluss fest.
„Nach England?“, wiederholte Demetri atemlos. „Wir alle?“
„Ja, wir drei. Dort wirst du eine Schule besuchen und zu einem Gentleman heranwachsen. Und Dora wird von einer Gouvernante unterrichtet, Klavier spielen lernen und schöne Kleider tragen.“
„Muss ich ein englischer Gentleman werden?“
„Ein griechischer und ein englischer Gentleman. Wenn du erwachsen bist, kannst du entscheiden, wo du leben willst.“
„In England regnet es dauernd. Das hat Tante Kate gesagt.“
„Nicht immer. Aber es ist nicht so heiß wie hier. Und da wachsen keine Oliven.“
„Was essen die Leute denn?“
„Viel Fleisch und Käse, Gemüse und Obst. Und wir werden London besuchen, die größte Stadt der Welt.“
„Größer als die Stadt Korfu?“ Fasziniert riss Dora die Augen auf.
„Größer als die ganze Insel.“ Nun verschlug es den Kin dern die Sprache. Alessa presste sie fester an sich. Über ihre Köpfe hinweg begegnete sie Kates Blick. Ist es richtig, was ich tue? Ja, gewiss, ich muss an das Wohl der beiden denken und ihnen alle Möglichkeiten bieten.
„Sicher wird alles gut“, versicherte Kate und beobachtete gerührt, wie zärtlich ihre Freundin die Kinder umarmte.
„In vier Tagen müsst ihr drei in die Villa kommen und meine Tante Lady Blackstone kennenlernen“, entschied Alessa.
Erstaunt hob Kate die Brauen. „Ich auch?“
„Oh ja, ich habe ihr erzählt, die Frau eines Sergeants aus der Garnison würde bei mir wohnen. Also wird sie erwarten, deine Bekanntschaft zu machen.“
„Großer Gott!“, stöhnte Kate nervös. „Dann muss ich mein schönstes Kleid anziehen und mein Haar flechten – was nichts nützen wird. Ihre Ladyschaft braucht nur einen Blick auf mich zu werfen, um sich gewisse Gedanken über meine Vergangenheit zu machen. Und das wäre gar nicht gut.“
„Ich schäme mich nicht für dich“, beteuerte Alessa. „Aber sie ist eher – konventionell, und ich habe sie ohnehin schon schockiert. Deshalb sollten wir uns alle manierlich benehmen.“
„Allerdings. Und Seine Lordschaft? Wohnt er auch in der Villa? Da habt ihr’s ja richtig gemütlich.“
„Dora, würdest du Dinos fragen, ob er mir morgen sein Maultier und einen Packsattel leiht? Und du, Demetri – holst du meine beiden Koffer vom Heuboden?“ Alessa wartete, bis die Kinder außer Hörweite waren. „Heute habe ich mit Benedict gestritten. Offenbar glaubt er, wir
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