Eine Liebe fürs Leben
erfahren, um irgendwelche verräterischen Hinweise zu hinterlassen. Natürlich würde er Charlotte auch weiterhin mit Respekt behandeln – schließlich war sie die Mutter seines Kindes.
Ihr war bewusst, dass es ein Fehler war, sich so passiv zu verhalten. Sie hätte kämpfen müssen und ihn mit ihrem Verdacht konfrontieren. Aber dazu fehlte ihr einfach die Energie. Jeder Tag war ein neuer Kampf, den Charlotte nur mit Mühe bewältigte. Und solange sie in seliger Unwissenheit verharrte, musste sie sich auch nicht den bedrückenden Konsequenzen stellen.
Ben hatte das Glück, sie an einem Donnerstagmittag anzutreffen, an dem der Himmel düster und bewölkt war. Lustlos saß Charlotte vor einem unberührten Sandwich und versuchte, sich auf einen Bericht über Immobilienkäufer zu konzentrieren. Doch in Wahrheit grübelte sie über ihr vertracktes Leben nach.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie seine Anwesenheit an der Tür überhaupt bemerkte. Und noch ein paar Sekunden, um zu erkennen, wer er war. Doch als es schließlich klick machte, freute sie sich sehr, Ben zu sehen. Seit sie die Beziehung beendet hatte, hatten sie ein paarmal miteinander telefoniert. Ben war der einzige Mensch, dem gegenüber sie vollkommen ehrlich sein konnte. Und umgekehrt nahm auch er kein Blatt vor den Mund, wenn Charlotte ihn nach seiner Meinung fragte.
„Dafür dass in deinem Leben gerade ein Märchen stattfindet, siehst du aber nicht besonders glücklich aus“, war das Erste, was er sagte, als er in ihr Büro trat. Leise schloss er die Tür hinter sich. „Was ist los, Charlotte?“
„ Was los ist? Wie viel Zeit hast du?“ Sie lachte ein wenig hysterisch, und prompt ging ihr Lachen in Schluchzen über.
„Also gut, mein Mädchen. Aufstehen. Ich führe dich zum Essen aus.“
„Ich kann nicht, Ben. Ich habe all das hier noch vor mir.“ Sie deutete mit der Hand auf die Papierberge, die sich auf ihrem Schreibtisch türmten und nur darauf warteten, dass sie sich endlich zusammenriss.
„Trotzdem musst du etwas essen. Also steh auf. Wir gehen nicht weit. Spätestens um eins bist du wieder zurück. Ich habe sowieso um halb zwei ein Meeting mit Parry. Deshalb bin ich eigentlich hier.“
„Wirklich Ben, du musst dir wegen mir keine Umstände machen. Ich weiß, dass du nur vorbeigekommen bist, um kurz Hallo zu sagen.“ Sie stand auf. „Aber im Moment kann ich mich sowieso nicht auf die Arbeit konzentrieren. Und Lunch ist genau das, was ich jetzt brauche. Du weißt gar nicht, wie schrecklich es ist, die glücklichste Frau der Welt zu sein!“
Sie gingen in die französische Brasserie um die Ecke. Dort war ihnen eine gewisse Ungestörtheit sicher, denn das Essen hatte einen ausgezeichneten Ruf, war aber furchtbar überteuert. Charlottes und ihre Kollegen bevorzugten daher normalerweise billigere Restaurants. Doch für den heutigen Zweck war die Brasserie der perfekte Ort. Hier konnte man private Gespräche führen, ohne dabei zu riskieren, dass irgendjemand lauschte. Die Tische standen weit genug auseinander, und die Atmosphäre war angenehm intim.
Kaum hatten sie bestellt, begann Charlotte, Ben ihr Herz auszuschütten. Er reichte ihr diskret ein Taschentuch und hörte geduldig ihrer Geschichte über Liebe und Panik, Liebe und Verwirrung, Verlangen und Ungewissheit, ach ja, und noch mehr Liebe zu. Selbst als sie ihm mit einem Stöhnen erklärte, dass sie bei Gott wünschte, ihn so lieben zu können wie Riccardo, blieb er vollkommen gelassen. Er mochte Charlotte nach wie vor. Doch seit einigen Wochen traf er sich mit einer neuen Frau. Und insgeheim hoffte er, dass sie ihn genauso intensiv liebte, wie Charlotte ihren Exliebhaber. Oder vielmehr ihren Exliebhaber und zukünftigen Ehemann.
Als sie nach dem Essen draußen auf dem Bürgersteig standen, sah Charlotte zu seiner Erleichterung schon wesentlich weniger geknickt aus. Zwar hatte er ihr keinen allzu nützlichen Rat geben können, doch manchmal half ja schon zuzuhören. Als sie ihn umarmte, drückte er sie fest an sich und gab ihr einen brüderlichen Kuss auf die Stirn.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb Riccardo wie angewurzelt stehen. Damit hatte er nicht gerechnet. Charlottes Sekretärin hatte ihm gesagt, dass sie in dieses teure Lokal zum Lunch gegangen war. An den Namen konnte sie sich zwar nicht erinnern, aber es war ganz sicher irgendetwas Französisches. Dass Charlotte mit einem Mann dort war, hatte sie allerdings nicht erwähnt, und Riccardo hatte geglaubt
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