Eine Liebe in Paris
weich, ganz weich auf meinen Mund, und bei seinem Kuss begannen alle Schmetterlinge dieser Welt in meinem Bauch zu flattern.
Wer hätte gedacht, wie schön ein Fluss in der Nacht sein kann? Ich kannte den Lech, der durch Augsburg fließt, denn im Sommer gingen wir oft am Eiskanal, der Kanuten-Olym-piastrecke, schwimmen. Abends hatte ich den Lech schon durch die Schleuse am Eingang der Stadt zum schwäbischen Hinterland hin brausen sehen. Aber er war kein Vergleich zu der Seine, deren schwarze Wellen an die Ufer der
Quais
schwappten und auf deren Schaumkronen sich die Lichter der Laternen spiegelten. Machte der Fluss die Stadt oder die Stadt den Fluss so schön? In jedem Fall gehörten die beiden zu dem zusammen, was unser Biolehrer eine Symbiose nannte.
»Komm, ich fahre dich zum
Pont Neuf
. In der Nacht gibt es keinen romantischeren Ort«, sagte Wolff und bog, auf dem
Quai
angelangt, nach links ab. Ich sah auf einer Insel inmitten der Seine eine erleuchtete Kirchturmspitze über die hohen Dächer hinaus in den Nachthimmel ragen. Wolff hielt auf eine Reiterstatue an der Spitze der Insel zu.
»
Pont Neuf?
Eine neue Brücke? Ist die gerade neu erbaut worden?«
Er lachte. »Im Gegenteil. Es ist eine der ältesten noch erhaltenen Brücken in Paris, aber als sie erbaut worden ist, war sie die neue Brücke. Komm, ich zeige dir die
Ile de la Cité
. Festhalten,
Chérie
.«
Chérie
. In seinem Mund hatte das Wort nichts mit dieser absolut spießigen Schokolade mit der pappsüßen Kirsche innen drin zu tun. Es klang wunderbar.
Chérie
. Der Einkaufswagen rumpelte den Bürgersteig hinunter und wir überquerten die Straße an einem Zebrastreifen. Wie durch ein Wunder hielten die Autos für uns an und hupten begeistert, als sie uns so sahen: Der starke, schöne Wolff, der sein Mädchen mit dem angeknacksten Fuß im Einkaufswagen zum romantischsten Ort der Stadt schiebt. Hup. Hup. Hup. Ich musste lachen, und als wir an der anderen Straßenseite in der Mitte der kleinen Seineinsel angekommen waren, sagte Wolff: »Zappel nicht so, halt still.«
»Warum?«
»Darum.« Er hob mich aus dem Wagen und trug mich eine steile Treppe hinunter, die zu einem kleinen Park an der Spitze der
Ile de la Cité
mitten im Fluss führte. Am Himmel trieben Wolken im Nachtwind, unter den hohen grünen Bäumen war es ganz still, und das Gras glänzte feucht im Schein der einen Laterne neben der Bank, auf die er mich gleiten ließ.
»Darum«, wiederholte er zärtlich, neigte sich zu mir und küsste mich. Seine Lippen tasteten erst vorsichtig über meine Wangen bis hin zu meinen Lippen. Dann wurde ihr Druck intensiver und die Sensation ließ es überall in meinem Körperkribbeln. Ich öffnete leicht den Mund und seine Zunge glitt zwischen meine Lippen. Bei Mogens machte mich dieser Augenblick immer unruhig, aber nicht auf die Weise, wie er es sollte. Wolffs Zunge aber schmeckte warm und süß. Ich erwiderte seine Zärtlichkeit mit einer Leidenschaft, die ich selber nicht einordnen konnte. Ich hatte so ein Gefühl noch nie erlebt, dieses Wollen und Nichtwollen zugleich, das meine Gedanken zu Brei machte. Meine Hände schlangen sich um seinen starken Nacken, und ich hielt seinen Kopf ganz nahe an meinen, sodass unser Atem sich vermischte. Sein Haar war so weich, und ich wühlte darin, während er nicht aufhörte, mich zu küssen.
»Küssen ist das Schönste der Welt«, flüsterte ich.
»Dann sprich nicht, sondern tu es«, lächelte er in meinen Mund und ich tat, was er sagte, ehe er meine Haare nach hinten strich und mich ansah.
»Kleine Ava. Wie hübsch du bist.«
»Na ja, ich weiß ja nicht«, entgegnete ich halb geschmeichelt, halb nicht überzeugt von seinem Kompliment.
»Doch, doch. Glaub mir, du wirst mal eine sehr schöne Frau.«
Ich spürte seinen Blick aus seinen halb geschlossenen Augen wie eine Liebkosung auf meiner Haut. Vor Verwirrung wusste ich nicht, wohin ich sehen sollte.
Dann strich er meine Haare beiseite und küsste sanft meinen Nacken. Wieder die Schmetterlingsflügel, doch dieses Mal behutsam und zärtlich.
»
Ça va?
«, fragte er leise in mein Ohr.
»
Ça va
«, bestätigte ich. »
Ça va très bien
.«
»Gut. Ist dir nicht kalt?«
Ich sah an mir hinunter und an meinen Armen und Brüsten bildete sich eine Gänsehaut.
»Nein«, log ich.
»Doch.«
»Nicht, wenn du da bist.«
»Ich kann nicht immer da sein. Hier!«
Er schlüpfte aus dem schwarzen Jackett, das er zu seinem weißen Hemd trug, und legte es mir über
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