Eine Liebe in Paris
Frühstück, beschloss ich, denn ich hatte einen Bärenhunger. Ich stand auf und konnte zum Glück schon wieder mit meinem wehen Fuß auftreten, ohne dass es zu sehr schmerzte. Das hieß, dass ich Wolff bis an das Ende der Welt folgen konnte – folgen könnte, verbesserte ich mich selbstmitleidig.
»Und, hast du dich gestern gut amüsiert?« Marie kam in die Küche, als ich gerade ein Viertel Baguette spaltete und die
Tartine
in den Toaster steckte. Sie trug nur einen weißen Morgenmantel, ihre Haare waren zerwühlt, und es war das erste Mal, dass ich sie so ungeschminkt und nicht zurechtgemacht sah. Unter ihren leicht geschwollenen Augen lagen tiefe Schatten, und ich bemerkte die feinen Linien, die sich von ihren Nasenflügeln hin zu ihren Mundwinkeln zogen.Aber obwohl sie offensichtlich gerade aus dem Bett gekommen war, trug sie bereits die Halskette mit dem goldenen Kreuz an dem dunklen Samtband.
»Oh ja, was für ein wunderschöner Abend«, sagte ich.
»Was habt ihr beide noch so angestellt?«
Marie schüttete sich ihr speziell schlank machendes Müsli in eine Schale und goss kalte Milch darüber, ehe sie begann, es im Stehen zu löffeln.
»Nichts Besonderes. Wolff hat mir noch die
Ile de la Cité
und
Notre Dame
gezeigt.«
»Wie romantisch. Bist du spät nach Hause gekommen?«
»Um kurz nach Mitternacht.« Ich versuchte, meine Stimme gleichmütig klingen zu lassen. »Toll, dass dein Porträt sich so gut verkauft hat.«
»Ja, Marie hat noch immer jede Menge Verehrer, aber sie gehört nur mir!« Henri war ebenfalls in die Küche gekommen und trug eine weiße Jogginghose und ein Poloshirt. »Ich treffe Jean Yves zum Tennis, Liebling. Wollen wir danach zusammen zu Mittag essen? Ich führe dich aus.«
Er beugte sich vor und wollte Marie auf den Mund küssen, doch sie drehte gerade den Kopf weg, und er traf nur ihre Wange.
»Hm. Ich wollte Wolff noch einmal anrufen, denn er möchte vielleicht an einem weiteren Porträt von mir arbeiten.« Sie griff nach ihrem Handy, das auf der Küchentheke lag.
»Nicht heute, Marie. Heute gehörst du nur mir.« Henri legte seine Hand flehend auf ihren Unterarm.
»Also gut«, seufzte Marie und lachte dann. »Weg mit dem Telefon. Ich kann mich auch heute Abend bei ihm melden!«
Mein Blick hing wie gebannt an Maries Handy, das sie auf den Küchentisch legte. Darin hatte sie also Wolffs Telefonnummer gespeichert.
Seine Telefonnummer!!!
Mein Herz schlug schneller.
»Wo ist Camille?«, fragte ich, um meine Gedanken zu beruhigen.
»Sie ist schon beim Ballett.«
»Wann kommt sie wieder?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Marie und stellte ihre Müslischale in den Ausguss. Henri griff sich noch einen Apfel, warf ihn einmal in die Luft, fing ihn wieder auf, winkte uns beiden zu und verließ das Haus. Gleich darauf hörten wir, wie er den Motor des Mercedes startete.
»Vielleicht kann ich sie abholen und wir trinken irgendwo einen Kaffee zusammen?«, schlug ich Marie vor.
»Gute Idee, Ava. Ihr beiden Mädchen habt bisher kaum Zeit miteinander verbracht, dabei ist es für Camille so nett, einmal eine Schwester zu haben. Und zwischen sechzehn und vierzehn ist ja kein so großer Altersunterschied.«
Da war ich anderer Meinung, aber ich schwieg, aß meine
Tartine
und stand auf. »Dann fahre ich jetzt an die
Opéra
.«
»Mach das.« Maries Handy piepste, als sie eine Nachricht empfing, die sie las und sofort lächelnd beantwortete. Mich beachtete sie nicht mehr, sodass ich nach oben ging, um mich anzuziehen.
Auf der
Avenue de l’Opéra
war es sehr kalt und windig, als ich aus dem warmen Schlund der
Métro
auftauchte. Es war einer der beeindruckendsten Ausgänge, die ich bisher gesehen hatte, denn mit jedem Schritt dem Freien entgegen wuchs einem die grandiose
Opéra Garnier
aus der Erde entgegen. Es regnete noch immer, der Wind blies mir die Tropfen wie Nadeln ins Gesicht. Ich schlug den Kragen meines Trench-coats hoch und vermied gerade noch eine Pfütze. Jedes Mal wenn die Autos an den Ampeln anfuhren, spritzten sie Fontänen an Schmutzwasser auf, und die Passanten schimpften und drückten sich näher an die Hausmauern. Der Wind pfiff so scharf, dass ich mich freute, als ich endlich den Eingang von Camilles Ballettschule erreichte. Ich öffnete die Tür, eine Bö wehte mit mir in das Innere des Raumes und die Rezeptionistin sah mich genervt an.
»
Bonjour
«, sagte ich und schüttelte meine nassen Haare aus.
»
Bonjour?
«, sagte sie fordernd und musterte mich mit
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