Eine Liebe in Paris
hochgezogenen Augenbrauen. Es war ihr wohl klar, dass ich keine ihrer wohlerzogenen Elevinnen war.
»Ich komme, um Camille Lefebvre abzuholen.«
»Ah ja, die kleine Camille …« Sie studierte eine Liste. »Sie sollte heute Unterricht bei Madame Sarakowa haben. Erstes Studio links.«
»
Merci bien
«, murmelte ich und ging den Gang hinunter, den sie mir gezeigt hatte. Klaviermusik klang mir entgegen, die nur von der scharfen Stimme Madame Sarakowas unddem dumpfen Geräusch, wenn eine Tänzerin nach dem Sprung auf dem Boden des Studios aufkam, unterbrochen wurde. Ich ging auf die Zehenspitzen, um durch das kleine Fenster in der Studiotür zu sehen. Ein blondes Mädchen wirbelte gerade an mir vorbei, doch es war nicht Camille. Ich klopfte, bevor ich die Tür ganz vorsichtig öffnete.
»
Oui?
«, fragte Madame Sarakowa ungehalten.
»Pardon. Ich komme, um Camille abzuholen.«
Eine steile Falte erschien auf Madames Stirn, und sie winkte dem Pianisten zu, der erschrocken zu spielen aufhörte. In der plötzlichen Stille war nur der erschöpfte Atem der anderen kleinen Tänzerin zu vernehmen, die ebenfalls innehielt. Ihr Gesicht glühte, und sie suchte an der Stange Halt, als sei ihr schwindelig.
»Camille ist nicht hier. Es ist das dritte Mal, dass sie in dieser Woche nicht zum Training kommt. Ich muss Marie anrufen, so leid es mir tut, aber so wird Camille die Prüfung nie bestehen«, sagte Madame.
»Sie ist nicht hier?«, wiederholte ich erstaunt.
»Nein, das sage ich doch. Und jetzt, Mademoiselle,
excusez-nous
, aber wir müssen weitermachen.«
»Bitte rufen Sie Marie nicht an«, sagte ich plötzlich, ohne zu wissen, weshalb.
»Wieso nicht?« Die Falte zwischen Madames Augenbrauen wurde noch tiefer. Das wusste ich auch nicht.
Madame atmete tief durch, ehe sie sagte: »Also gut, aber nur Marie zuliebe, denn ich weiß, sie wird sich furchtbaraufregen, wenn sie das erfährt. Ich gebe Camille noch eine Chance. Wenn sie morgen nicht zur Stunde kommt, dann muss ich etwas unternehmen, richte ihr das bitte aus.«
»Ich richte es ihr aus. Versprochen.
Au revoir, Madame
.«
»
Au revoir
«, sagte sie kurz und machte dem Pianisten ein Zeichen. Der griff wieder in die Tasten und das junge Mädchen spannte seinen Körper. Ich verließ das Studio, aber lehnte mich draußen im Gang erst einmal an die Wand. Ich fühlte mich leer und erschöpft. Über meinem Kopf flackerte das Neonlicht, und die Flecken auf dem alten Linoleumboden schienen mich anzuspringen, während ich nachdachte. Wo ging Camille denn jedes Mal hin, wenn nicht zu ihren Ballettstunden? Ich fühlte mich wie Sherlock Holmes: Erst musste ich Wolffs Nummer herausfinden und dann wollte ich Camille auf die Schliche kommen. Wolffs Nummer war im Moment wichtiger, entschied ich, als ich wieder ins Freie trat und mir ein anfahrendes Auto die gesamte Jeans nass spritzte.
»Hallo?«, rief ich, als ich das Haus der Lefebvres betrat, doch alles blieb still. Nur im oberen Stockwerk hörte ich Wasser rauschen. Jemand duschte gerade. Entweder es war Henri oder aber Camille, die von wer weiß was zurück war. Stille Wasser sind tief, dachte ich und ging in die Küche. Glück gehabt, denn da lag wie üblich Maries Handtasche auf dem Stuhl. Ich sah mich noch einmal hastig über meine Schulter um, ich hatte nicht gerade ein gutes Gefühl, aber es musstesein. Mit einem Griff hatte ich Maries Handy aus dem kleinen Seitenfach im Inneren der Handtasche gezogen. Sie hatte ein anderes Modell als ich, aber Gott sei Dank braucht man für kein Handy dieser Welt einen Hochschulabschluss in Physik. Ich hatte ihre Adressliste schnell aufgerufen und gab den Buchstaben »W« in die Suchleiste ein. »Wolff« kam sofort hoch, denn sonst gab es ja im Französischen keine Namen mit W. Das W ist ein komplett deutscher Buchstabe, und der Gedanke ließ mich hysterisch kichern, ehe ich die Nummer auf einen kleinen Block kritzelte, der auf der Küchentheke lag. Dann steckte ich das Handy in die Tasche zurück, und das gerade zur rechten Zeit, denn ich hörte, wie jemand die Treppe runterkam.
»Ach, hallo, du bist hier«, sagte Camille, als sie die Küche betrat. Ihre noch nassen Haare waren unter einem zum Turban geschlungenen Handtuch verborgen, und sie trug denselben weißen Morgenmantel, den ihre Mutter am Morgen angehabt hatte.
»Wie war es beim Ballett?«, fragte ich und ließ den Zettel mit Wolffs Nummer gerade noch in meiner Hosentasche verschwinden.
»Anstrengend«, sagte Camille und
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