Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Menschen bei Platon ist mit »Androgynie« die Utopie eines dritten Geschlechts, eines »vollständigen« Menschen gemeint, der »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« in sich vereint. Man kann darüber spekulieren, ob sich nicht hinter der Begriffswahl »androgyn« der Glaube verbirgt, dass der Mann feminine Eigenschaften braucht, um »Vollständigkeit« zu erreichen, was für die Frau als nicht wünschbar gilt. Denn mit ihrer Übernahme von Eigenschaften und Verhaltensweisen, die im Gegenteil als männlich gelten, wurde sie bisher in der Gesellschaft nur als Mannweib abgelehnt und in der Psychoanalyse als »phallische Frau« beschimpft. Dabei ist klar, dass die mit »männlich« und »weiblich« verbundenen Vorstellungen wolkig bleiben sowie zeitlich und kulturell bedingt sind. Dies aber wollen manche Wissenschaftler nach wie vor nicht wahrhaben.
Unter männlichem und weiblichem, unter mütterlichem und väterlichem Prinzip verstehen Anthropologen und Psychoanalytiker immer noch menschliche Konstanten, die von gesellschaftlichen Einflüssen unabhängig sind. Die beiden psychischen Konfigurationen sind für sie weitgehend angeboren und bei beiden Geschlechtern in einem unterschiedlichen Mischungsverhältnis anzutreffen.
Es geht für den Mann nach wie vor darum, seine Herrschaft über die Frau aufrechtzuerhalten, um seine Angst vor der Regression in frühkindliche Abhängigkeit von der als allmächtig erlebten Mutter abzuwehren, aber eben nicht nur seine Angst, sondern auch seine Sehnsucht nach der frühen Symbiose. Vielleicht wurde, um diese Ängste abzuwehren, die von Männern erdachte Phantasie einer menschlichen Vollkommenheit als Androgynie bezeichnet, d.h. als ein im Ursprung männliches Wesen, das endgültig von Frauen unabhängig wird, indem es sich deren Weiblichkeit aneignet.
Auch das Problem, was »männlich« und was »weiblich« in der therapeutischen Technik und der Theorie der Psychoanalyse ist, scheint mir so leicht nicht lösbar zu sein. Ist die Psychoanalyse im Grunde eine von »weiblichen Fähigkeiten« (Empathie, passives Zuhören, Zugang zu Gefühlen und Phantasien) getragene Wissenschaft? Freud griff die weibliche Fähigkeit, den Bewegungen des Unbewussten, der Gefühls- und Phantasiewelt folgen zu können, begierig auf und fand mit deren Hilfe den Schlüssel zum Reich der Sprache des Begehrens oder auch, wenn man so will, zum Reich der Mütter.
Freud entdeckte während seiner Selbstanalyse seine genital-sexuellen Wünsche für die Mutter. Das Weib in ihm – seine Verinnerlichung »weiblicher Funktionen« – wurde von ihm weitgehend abgewehrt. Sein berühmter Kollege und langjähriger Vertrauter Sándor Ferenczi dagegen hatte, so möchte ich annehmen, Zugang zu seinen verinnerlichten »mütterlichen« Funktionen und versuchte, sie an seine Patienten weiterzugeben, um ihre Leiden zu mildern. Mit Ferenczis »weiblicher« Technik, die körperliche Zärtlichkeit nicht ausschloss, konnte sich Freud nicht anfreunden. Ferenczi selber wusste durchaus, welche Schwierigkeiten in der Therapie entstehen können, wenn die »Sprache der Zärtlichkeit« mit der »Sprache der Leidenschaft« verwechselt wird. Aber es kam zu keiner wirklichen Auseinandersetzung hierüber zwischen ihm und Freud. Ihre beiden unterschiedlichen Erkenntniswege ließen sich nicht miteinander versöhnen, sodass der tragische Bruch der Beziehung zwischen zwei genialen, zutiefst miteinander verbundenen Männern sich nicht vermeiden ließ.
Solche Brüche und Spaltungen innerhalb der Psychoanalyse leiten sich offenbar von einer unterschiedlichen Verarbeitung von Weiblichkeit im männlichen wie im weiblichen Psychoanalytiker her. Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen haben deswegen, so scheint mir, in den letzten Jahrzehnten mehr über den Umgang mit weiblich-mütterlichen Anteilen im männlichen und weiblichen Analytiker nachgedacht als über beider »männliche« Anteile, die für Frauen nach wie vor als ablehnenswert oder neurotisch angesehen werden.
Aber nicht nur Männer, auch Frauen haben es schwer, mit der »Mutter in ihnen« integrierend umzugehen. Das innere Bild einer alles beherrschenden Mutter wird von ihnen nach außen auf die real existierende Mutter projiziert. Der Hass auf sie oder doch das Gefühl einer übermäßigen Abhängigkeit von ihr setzt sich von einer Generation zur anderen fort. Dieser unbearbeitete Mutterhass ist mitverantwortlich dafür, dass Frauen – oft unbewusst – Macht, Verantwortung, Einfluss
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