Eine magische Begegnung
zu und betrachtete die Baumkette, die die Wiese säumte. Während sie hörte, wie Tanner hinter ihr auch seinen Müll im Rucksack verstaute, hatte sie plötzlich eine Idee. Fluffy hatte auf einer Eiche gesessen, darunter war die Leiche und linkerhand eine Wiese gewesen. Es hatte so ausgesehen, als hätte der Baum direkt am Rand dieser Wiese gestanden. Vorhin waren sie zwar den Wald abgegangen, der an die Wiese grenzte, doch vielleicht war es notwendig, tiefer in den Wald hineinzugehen. Vielleicht war ja auch von dort die Wiese zu sehen – nur eben aus einem anderen Blickwinkel. Katzen sahen tatsächlich anders als Menschen, und vielleicht hatte Lili sich in der Perspektive getäuscht.
Das Rascheln hinter ihr war verstummt. Sie schaute über die Schulter und sah Tanner nur ein paar Schritte von sich entfernt mit dem Rucksack in der Hand reglos stehen und sie anstarren.
Dann ließ er den Rucksack fallen, ging auf sie zu, packte ihren Arm und zog sie an sich.
“Ich sollte das besser lassen. Aber ich kann seit einer Stunde an nichts anderes mehr denken. Deshalb muss ich es jetzt tun.”
Er küsste sie nicht nur, sondern verschlang sie regelrecht. Mit einer Hand drückte er sie an sich, mit der anderen hielt er ihren Kopf, und sein Mund eroberte den ihren wild und leidenschaftlich. Sie ließ ihre Finger durch sein weiches Haar gleiten. Sein Oberkörper war kräftig und seine Zunge heiß und gierig. Er duftete nach Wäsche, die an der Sonne getrocknet worden war, einem dezenten Aftershave und berauschend gut nach männlichen Hormonen. Er ging ein bisschen in die Knie, wanderte mit seinen Lippen tiefer, knabberte zärtlich an ihren Lippen und richtete sich wieder auf, nur um sie wieder leidenschaftlich an sich zu ziehen und zu küssen.
Er stöhnte heiser, legte eine Hand auf ihren Po und drückte sie an sich. O Gott, er war wahnsinnig erregt. Sie wollte …
“Auf meinem Grund und Boden sind keine Obszönitäten erlaubt, ihr gottloses Gesindel.”
Lili machte vor Schreck einen Satz zur Seite und wäre fast gestolpert, wenn Tanner sie nicht aufgefangen hätte. Dann sah sie das Gewehr, das auf sie beide gerichtet war.
Sein bestes Stück war härter als ein Stahlbohrer. Heiliger Strohsack, er war in ziemlichen Schwierigkeiten.
Tanner schob Lili hinter sich. “Kumpel, steck dein Gewehr weg. Du glaubst doch selber nicht, dass du uns erschießt.”
Buddy Welch ließ sie nicht aus den Augen. Sein Finger zitterte am Abzug seiner Flinte. “Ihr habt unbefugt mein Land betreten.”
“Du weißt genau, dass das hier öffentlicher Grund ist.”
“Ich erkenne keine Regierung an, die mir mein Land stiehlt.”
Buddy Welch war ein kauziger Eigenbrötler wie aus dem Bilderbuch. Die Kopfhaut schimmerte rötlich durch sein schütteres weißes Haar, das seit dem Vietnamkrieg keinen Kamm mehr gesehen zu haben schien, sein schmutziges Gesicht war von unzähligen Falten zerfurcht, und sein grauer Bart reichte ihm bis zur Brust. Ausgewaschene Army-Hosen und eine ebensolche Jacke komplettierten den merkwürdigen Aufzug. Der Alte war ein Relikt aus dem Krieg bzw. einem der Kriege. Tanner war sich nicht sicher, aus welchem. Er wusste nur, dass Buddy Welch hier schon in seiner Hütte gelebt hatte, lange bevor Tanner hergezogen war. Er war gewissermaßen eine Institution. Allerdings hatte die Regierung ihm nicht, wie Buddy vorhin behauptet hatte, sein Land weggenommen. Die Wiese und der Wald waren immer schon öffentlicher Grund gewesen.
Und Buddy hatte auch noch nie jemanden erschossen und würde es auch nicht tun, selbst wenn es sich um einen echten Eindringling handelte. Der alte Mann drohte nur gern. Und meistens funktionierte das.
Lili packte Tanners Schultern und versuchte, an ihm vorbeizulugen. “Bleib hinter mir”, flüsterte Tanner, ohne Buddy aus den Augen zu lassen. Dann sagte er laut: “Du willst doch auch nicht, dass der Sheriff kommen muss, oder? Gresswell könnte dir deine illegale Waffe wieder wegnehmen.”
“Hier ist gar nichts illegal. Meine Gewehre sind registriert, wie es das Gesetz verlangt.” Er betonte das Wort extra laut und spuckte dann ins Gras.
“Na gut, dann appelliere ich an deine Ritterlichkeit. Du machst meiner Freundin Angst.”
“Sie hat nicht besonders verschreckt gewirkt, als ich euch vorhin gesehen habe.”
Lili versteckte sich hinter Tanners Rücken. Ob es aus Angst oder einem Gefühl der Peinlichkeit darüber war, wobei sie vorhin erwischt worden waren, wusste sich nicht so genau.
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