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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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da aufgeplatzt – also sagte man, der Teufel, der in seinem Leibe steckte, habe mit den Hörnern die Brust des Juden aufstoßen wollen, habe jedoch nicht genug Kraft besessen, um herauszukriechen, und so seien sie zusammen zur Hölle gefahren.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Ich persönlich glaube nicht an diese Erzählungen. Doch an jenem Tag – ich gestehe es – war ich bereit, ihnen Glauben zu schenken. Später jedoch geschahen noch so viele menschliche Dinge, an denen mit Sicherheit weder Gott noch der Satan teilgehabt haben, daß ich heute glaube, Icchak hatte mit der Hölle nichts gemein. Wenn ich mich irre, mag Gott mir diese Sünde vergeben… Was für eine grauenvolle Nacht folgte auf diesen Tag! Die Sonne ging mit Macht unter; das ganze Himmelsgewölbe schien in Blut getaucht. Ein warmer, böiger Wind wehte und trieb die schwarzen Wolken vor sich her. obwohl die Dämmerung bereits hereingebrochen war, füllte das Volk noch immer die Straßen. Fackelschein erhellte die Gesichter, holte sie als weiße, gleitende Flecke aus dem Dunkel hervor. offenbar würde es in dieser Nacht zur Entscheidung kommen! Ununterbrochen läuteten die Glocken, Gefahr verkündend wie zu Zeiten des Krieges oder der Pest. Vom heiligen Ägidius zog singend eine Prozession aus, an ihrer Spitze scharten sich die Geißler, die gellende Schreie ausstießen. Männer und Weiber waren bis zum Gürtel entblößt. Über ihre Rücken strömte das Blut. Jeder hieb auf seinen Vordermann ein. Die geflochtenen Riemen pfiffen durch die Luft. Wer hinstürzte, wurde so lange geschlagen, bis er reglos am Boden liegenblieb. Die Prozession schritt über blutdurchtränkte Erde, watete durch zusammengeballtes, rostrotes Stroh und durch Dreck, stolperte über Steine. Noch immer stand der Jude Icchak am Pflock auf dem Richtplatz.
    Ich hatte mir auf den Kirchenstufen einen Platz gesucht und betrachtete mit Grauen das sich mir darbietende Schauspiel. Dabei fing ich das Gespräch zweier Männer auf, die im Schatten der Vorhalle, nicht weit von mir, für einen Moment verweilten. Der eine von ihnen sagte: »Mathieu, guter Nachbar! Mir gefällt nicht, was wir da machen. Ich weiß nicht, darf man denn im Namen Gottes töten?« – »Schweig!« entgegnete der andere scharf. »Wer solche Zweifel hat, kann mein guter Nachbar nicht sein…« Darauf wieder der erste: »Wie ist das, Mathieu. Der Herr Jesus hat am Kreuz für uns alle gelitten. Und als er unter, Martern starb, hat er gesagt: ›Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!‹ Geziemt es sich denn, daß der Mensch, wo doch Gott solche Worte gesprochen hat, den anderen Menschen gnadenlos verdammt?« Der andere Mann, der Mathieu gerufen wurde, erwiderte verächtlich: »Gott kann machen, was ihm gefällt. Ein Mensch, das ist ganz was andres. Arras muß von allen Teufeleien gereinigt werden. Denn was, außer dem Himmel, ist für uns das Kostbarste, wenn nicht die Stadt?« Jener, der die Skrupel hatte, schwieg lange, endlich ließ er sich vernehmen: »Ich sehe, du hast recht, Mathieu. Verurteile mich nicht für das, was ich gesagt habe. Ich bin sehr froh darüber, daß du mich tadelst. Ich sag schon nichts mehr!« Darauf der zweite großmäulig: »Und denken wirst du auch nicht?« – »Versteht sich, Mathieu, versteht sich. Denken werd’ ich auch nicht mehr. Ich hab jetzt richtig Lust, in einen jüdischen Kochtopf zu spucken.« Und beide gingen hurtig davon.
    Ich vermag nicht zu erklären, wie es kam, daß ich ihnen nacheilte. Sie drängten sich durch die Menge auf dem Markt und liefen dann weiter in Richtung Westtor, wo das Volk der Juden wohnte. Sie waren nicht die einzigen dort. Ringsum herrschte Dunkelheit, aber es hatte sich viel Volks eingefunden. Schweigend umstand es die jüdischen Anwesen. Die Haustore waren fest verriegelt, kein Laut war zu hören, so als fürchteten die Bewohner dieser Häuser, ein Unglück heraufzubeschwören.
    Da auf einmal rief der Mann, den Mathieu zurechtgewiesen hatte: »Wo ist der Älteste der Gemeinde? Er soll herauskommen zu den Bürgern der guten Stadt Arras!«
    Schweigen antwortete ihm. Also rief er von neuem, und nach und nach folgten andere seinem Beispiel. Das war besser als die vorangegangene Stille. Die Menge begann sich zu regen; so als ob die Versammelten plötzlich erwacht wären, fühlten sie, daß sie Beine, Arme, Köpfe, Schultern hatten… Ein paar rückten, den Weg mit Fackeln erhellend, ins Gäßchen

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