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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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jüdische Seele zu umgarnen und aus ihr eine Waffe des Verderbens für die rechtschaffenen Christen zu machen? Na, sagt selber, Graf de Saxe!«
    De Saxe seufzte tief, schwieg lange; endlich meinte er:
    »Das stimmt schon, daß der Jude, der ja von den Lehren der göttlichen Kirche ausgeschlossen ist, leichter den höllischen Einflüsterungen erliegt. Aber schließlich ist auch der Jude ein Geschöpf Gottvaters, und daher kommt ihm zumindest eine Prise unseres Vertrauens zu…«
    Der Bäcker Mehoune fiel de Saxe ins Wort:
    »Man erzählt, daß sich während der Seuche am Westtor dreiköpfige Hunde, Ausgeburten der Hölle, gezeigt haben. Die überfielen die Christen, die des Wegs kamen, und schleppten sie den Juden zum Schmaus hin.«
    »Dreiköpfige Hunde«, mischte sich der Tuchmacher Yvonnet ein, »sind Diener des Teufels. Das weiß schließlich ein jeder.«
    Und wieder ein anderer fügte aufgebracht hinzu:
    »Es kann nicht sein, das Gott grundlos die gute Stadt Arras so hart bestraft hat. Nicht infolge himmlischer Ursachen geschah das alles, sondern auf Grund von Teufelskünsten. Wer auf der Welt hätte je gesehen, daß sich fromme Menschen auf solche Abscheulichkeiten und Untaten einlassen, wie wir alle es im Jahr der Seuche und des Hungers getan haben? Wohlanständige Bürger schnitten sich gegenseitig die Innereien heraus, um sich mit frischem Fleisch zu sättigen. Wären unsere Herzen dazu fähig gewesen, wenn nicht der Teufel sein Netz über unsere Stadt ausgeworfen hätte? Die unglückselige Kindesmörderin, die seinerzeit auf Befehl des guten Herrn Albert geköpft wurde, ward zum Wahnsinn getrieben, den man ohne das Wirken unreiner Kräfte nicht zu fassen vermöchte. Schaut doch heute umher… Wer von uns hegt schon gegenüber seinem Nächsten ein Gefühl des Hasses, des Zornes oder der Verachtung? Wir sind gute Menschen, in unseren Herzen wohnt Jesus Christus. Aber damals? Jeder wetzte das Messer, um damit dem Nachbarn die Kehle durchzuschneiden… Wem soll man das zuschreiben, wenn nicht den Teufelskünsten, die als Folge des jüdischen Fluches Gewalt über die Stadt bekamen?«
    »Worauf willst du hinaus?« fragte Albert.
    »Herr«, antwortete jener, »ich habe Angst, daß sich aus unserer Milde von neuem ein Übel für die Stadt ergeben könnte. Schon einmal ließen wir uns von satanischen Gelüsten übermannen. Du sagst, es ist nicht erwiesen, daß der Jude Celus das Haus des Tuchmachers verflucht hat, weshalb diesem ein Pferd edlen Geblüts verendet ist. Aber vor drei Jahren wurde ebenfalls nicht erwiesen, aus welchen Gründen uns das Vieh verreckt ist. Damals sprach man von einem bösen Zufall oder von göttlicher Strafe. Wofür denn die Strafe? Hat die Stadt Arras gesündigt? War sie nicht von den erhabensten Gefühlen und von Gottesfurcht beseelt? Niemandem wäre es damals auch nur in den Sinn gekommen, daß das Vieh auf Grund von jüdischen Verwünschungen krank werden könnte. Man hielt es für ein Werk des Schöpfers, für einen Wink des Schicksals, einen himmlischen Richterspruch, dem man sich nicht entgegenstellen kann. Wir hoben unsere Hände auf zum Gebet und ertrugen demutsvoll die schwersten Prüfungen. Aber sollen wir auch heute so handeln? Darf man die Stadt nur darum dem Verderben preisgeben, weil wir Celus seine teuflischen Praktiken nicht nachweisen können?«
    Und wieder fragte Albert:
    »Worauf willst du hinaus, Freund? Sprich offen.«
    Jener aber rief: »Herr, wir dürfen die Stadt dem Teufel nicht zur Beute geben. Die Gemeinde soll sich für all ihre Schandtaten verantworten!«
    »Die Gemeinde soll sich verantworten!« schrien auch alle übrigen, und am lautesten schrie der Bäcker Mehoune.
    Da sprach Albert:
    »Wenn das aber nicht Judenwerk war und wir unschuldigen Mitbürgern schweres Unrecht zufügen?«
    »Dann wird uns Gott vergeben, weil wir um der Errettung unserer Seelen willen so gehandelt haben«, erwiderte tiefernst der Tuchmacher Yvonnet.
    Albert blickte in die Runde und ließ dann die Augen auf mir ruhen.
    »Jean, teurer Freund«, sagte er. »Wie ist deine Ansicht?«
    »Guter Vater«, erwiderte ich. »Yvonnet stellt die Sache richtig dar. Was kann es für einen Christen Wichtigeres geben als den Kampf um die Errettung der Seelen? Und falls wir irren sollten, wird Gott uns zugute halten, daß unsere Intentionen achtbar waren. Es zeugt von unserer Demut, daß wir noch immer zögern.«
    Nachdem ich so gesprochen hatte, erhoben sich de Saxe, de Vielle und Herr Meugne von

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