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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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zweifeln muß. Nehmen wir zum Beispiel Durance, den Vogt von Herrn de Saxe, und stellen wir ihn neben Chevalier du Losch. Ich habe von ihm noch nicht gesprochen. Er ist es auch gar nicht wert! Vor den Rat geführt, gab er eine regelrechte Vorstellung. Mehoune zählte lautstark seine Vergehen auf, und jener rief donnernd: »Ach, und wie, hochedler Rat, und wie! Ich habe auf die nichtswürdigste Weise gesündigt!« Als man seine Taten zu Ende aufgeführt hatte, fügte er von sich aus noch eine Menge anderer hinzu und bewarf sich selber so mit Dreck, daß sich sogar die einfachen Leute von ihm abwandten. Schließlich fragt Albert: »Ist das alles, du Losch?« Er bejaht zunächst, aber bereitwillig denkt er nach, und als ob er sich plötzlich besinne, ruft er aus: »Hochedler Rat! Als Knabe habe ich Umgang mit einer Ziege gepflogen…« Da konnte sich auch Albert das Lachen nicht verbeißen. Ich habe zunächst gedacht, dieser du Losch spotte unser, aber es war ihm ein Herzensbedürfnis, zu Kreuze zu kriechen. Er hat sich verrechnet, der Ärmste! Er hatte nämlich gehofft, sich schweifwedelnd eine Tracht Prügel zu verschaffen. Aber nachdem der Rat sich köstlich amüsiert hatte, befahl er, dem Chevalier den Kopf abzuschlagen. Bei der Urteilsverkündung wälzte sich du Losch tränenüberströmt auf dem Fußboden und umfaßte die Beine des Bäckers Mehoune, der sein Ankläger war. Da ereignete sich etwas Furchtbares – der Bäcker sagte: »Herr du Losch, gedenkt Eurer Herkunft. Es geziemt sich nicht, daß ein Ritter die Waden eines Bäckers umschlingt.«
    Nachdem dieser Mensch in Arras enthauptet worden war, erinnerte sich niemand mehr auch nur des Namens du Losch. Durance hingegen, obschon minderer Abkunft, besaß immerhin den Mut, hocherhobenen Hauptes in den Tod zu gehen. Er verfluchte Albert, spie ihm vor die Füße, und noch in dem Augenblick, da die Flammen an seinem Leib emporzüngelten, rief er dem ehrwürdigen Vater zu:
    »Komm näher, alter Bock, damit ich dir in die Fresse furzen kann!«
    Also, wie ist das nun mit Mut und Hellsicht? Wenn nicht Gott darin ist, muß wohl etwas Menschliches darin sein, Chastell pflegte zu sagen: »Sei Herr deines Schicksals!« – Ach, ich weiß, nur darum geht es. Aber ich darf jetzt behaupten, daß ich nicht befriedigt wurde. Ich war ein Herr und war es doch nicht. Oftmals peinigte mich das Verlangen zu schreien, ganz gleich, was geschehen mochte, und dennoch schwieg ich. Dann wieder sprudelte eine zerstörerische Kraft aus mir hervor, und ich war bereit, meinen Kopf unters Beil zu legen, um irgend etwas zu retten, was ich nicht einmal beim Namen hätte nennen können. Ihr Herren! Ob es nicht darum geht, sich selber zu gefallen – mehr als sogar Gott?
    Ich sehe euren Gesichtern an, daß ich euch langweile. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, wie weit meine Sprache von der der Bürger Brügges abweicht. Wo ich mein Herz zerfetze, dünkt es euch ein Strohdreschen. Kehren wir also zu den Brabanter Schäfchen zurück:
    Seit dem Tode des Grafen de Saxe waren keine zwei Tage vergangen, als ganz Arras von Mord und Totschlag widerhallte. Prozesse wegen Hexerei, Häresie und der allerehrlosesten Verirrungen hielten die Stadt in Atem. Niemand war sich des Tages oder auch nur der Stunde gewiß. Einige Fälle kamen vor den Rat, andere gingen ohne Urteilsspruch ab. Gervais der Damaszener, dessen Pferd durch Celus’ Fluch verendet war, baumelte, von seinen Schuldnern aus dem Hause gezerrt, am Strick. Seine Ställe gingen in Flammen auf.
    Albert hatte im Rat gesagt, daß nur die Einfältigen in den Himmel kommen, und das kehrte sich sogleich gegen alle Edelgeborenen. Glaubt nicht, daß Plebejerunruhen darauf folgten! Dergleichen konnte in Arras nicht passieren. Allzu träge sind die Gehirne der dortigen Bürger. Das schlichte Volk glaubte ganz einfach, daß die Höherstehenden eher in Teufelsversuchungen verstrickt werden. Niemand sprach in jenen Tagen in Arras von Gleichheit. Dagegen wollten viele aus den herrschaftlichen Gefäßen trinken und sich wie die Herren kleiden. Die anständigsten Leute – wie ein mir seit langem bekannter Wagner, der Lahme Thomas – gaben sich mit Raubüberfällen ab. Der genannte Wagner drang mit seinen Spießgesellen in die Räumlichkeiten Herrn de Vielles ein, band ihn unter der Decke an einen Balken und verhörte ihn wie ein Richter:
    »Warum hast du gelästert?«
    »Ich habe nicht gelästert«, antwortete Herr de Vielle.
    »Wenn ich sage, du hast

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