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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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daß ich der Stadt Arras treu bin und bleibe. Der Bäcker Mehoune lachte bitter auf. Damals sah ich ihn zum letzten Mal. Am Tag darauf nahm ihm ein Mensch, dem er die Tochter verführt hatte, das Leben.
    Da saß ich also in meinem Hause, weit von allen Angelegenheiten der Stadt! Die folgenden Tage verbrachte ich in absoluter Einsamkeit, lauschend vertieft in den Lärm grauenvoller Abrechnungen. Und wirklich gab ich mich Meditationen hin. Die Lage, in der ich mich befand, war überaus grausam. Auf den ersten Blick mochte es scheinen, daß Arras meine Person verleugnet hätte, doch so verhielt es sich nur scheinbar. In Wirklichkeit hatte ich selber die Stadt aus meinem Herzen gedrängt. Ach, mich berührten nicht die Urteilssprüche des Rates. Niemand maß dem wirren Zeug Gewicht bei, das in den Köpfen dieser primitiven Kerle spukte, und Albert machte schon seit langem auf mich den Eindruck eines Besessenen. Um ehrlich zu sein, ich verdächtigte ihn eigentlich nicht des Wahnsinns, sondern witterte hinter alldem vielmehr einen geheimen Plan, in den er andere nicht einweihen wollte. Daher fühlte ich mich durch den Ratsausschluß durchaus nicht betroffen. Ich betrachtete ihn sogar als einen Gewinn! Die letzten Tage hatte ich an Dingen teilgehabt, die meiner Überzeugung zuwiderliefen. Wenn Arras ins Uferlose sinken wollte, dann sollte es das ohne meine Hilfe tun. Um so besser, wenn ich zu Hause saß, völlig isoliert und nunmehr ganz sicher ohne Einfluß auf den Lauf der Ereignisse. Nicht das Urteil des Rates also war für mich verabscheuungswürdig, sondern der Rat selber. Ich bekenne, daß ich Bitterkeit empfunden habe bei dem Gedanken, daß ich solange gebraucht hatte, um sein wahres Gesicht zu erkennen. Das zeugte von keinem scharfen Verstand.
    Schlichte Gemüter sind sicher bereit anzunehmen, daß ich angesichts der mir drohenden Gefahr gereift sei.
    Solange ich ganz oben war, hatte ich mir erlaubt, auf Irrwegen zu wandeln zusammen mit der ganzen Stadt… Als ich jedoch herabstürzte, ging mir ein Licht auf. Eine kluge Einschätzung wäre dergleichen nicht, meine Herren! Die Angelegenheit ist durchaus nicht so seicht. Wie in allem steckt auch in einer solchen Auffassung ein richtiger Kern. Nur daß es im menschlichen Leben beinah immer so ist und man dann nicht auf den Wind schimpfen darf, der zum Hafen weht. Ihr wißt das doch durch euer enges Band zum Meer am besten.
    Empfindet ein denkender Mensch sein Abgesondertsein nicht als das schwerste Leiden? Die Gesellschaft Gottes, selbst wenn sie die beste aller möglichen Gesellschaften ist, bereitet uns eher Pein als Freude. Denn im Grunde sind wir auch weiterhin einsam. Ein Einsiedlerleben! Wie sehr habe ich das stets verachtet! Man muß sich gänzlich allen Menschseins entäußern, um ein Leben, fern von der Welt, inmitten undurchdringlicher Wälder oder unzugänglicher Berge, zu führen. Es geht nicht darum, daß sich ein Mensch von Wurzeln und Quellwasser ernährt! Aber wo liegt das Maß seiner Taten?
    Man sprach einst von einem Einsiedler aus Artois, der hier vor Jahrhunderten gelebt und dem wilden Getier das Evangelium gepredigt habe. Ich denke, das muß ein Irrer gewesen sein. Zunächst mochte ihm scheinen, daß Wölfe, Füchse und Marder aufmerksam seinen Worten lauschten, ja sogar den Lehren der Heiligen Schrift nachzufolgen trachteten. Doch die Wolfsnatur mußte schließlich wieder die Oberhand gewinnen, und das Tier sagt gutmütig: »Unterbrich, ehrwürdiger Vater, deine Predigt; wir sind nämlich hungrig und müssen in den Wald gehen, um einen Hirsch zu reißen…« Da, so denke ich, ist der Einsiedler mit ihnen ins Waldesdickicht gegangen. Zuerst hat er sich umgeschaut, dann hat er gegessen, und endlich hat er selber gejagt. Und weil er weder starke Reißzähne noch scharfe Krallen besaß, tötete er am grausamsten von dieser ganzen wilden Horde. Und erst jetzt konnte er zum Anführer seiner Herde werden…
    Ich hatte einen älteren Bruder, meine Herren! Der schloß sich dreißig Jahre lang bei den Kartäusern ein. Lange, lange bekam er keinen einzigen Menschen zu Gesicht, ging nur immer mit dem eigenen Glauben um. Dort, bei den Kartäusern, fiel er restlos dem Wahnsinn anheim. Ich sage euch, es müssen irgendwelche Maßstäbe für unsere Gedanken und Taten existieren – und auch für unsere Liebe zu Gott. Sogar wenn Gott überhaupt nicht existieren und er nur unsere Sehnsucht bilden sollte, müßte auch diese gemessen werden zwischen dem einen und dem

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