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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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gelästert, dann hast du gelästert!«
    »Ich habe nicht gelästert!« beharrte Herr de Vielle.
    »Das geht dir diesmal nicht so glatt ab!« sagte Thomas. »Herr Albert hat die einfachen Leute der Stadt Arras mit der Gerechtigkeit betraut. Wir lieben Gott von ganzer Seele, und wir lassen Sünden nicht ungestraft durchgehen.«
    »Was für ein primitiver Kerl du doch bist, Stellmacher«, erwiderte Herr de Vielle, der außergewöhnlich mutig war. »Du befaßt dich mit Wucher und prügelst deine Gesellen. Wie oft sind sie unter Tränen zu mir gekommen!«
    Thomas versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht:
    »Nicht deine Sache, Sünder! Auch mit denen rechne ich noch ab. Jetzt bereit’ dich auf den Tod vor, aber zuerst sag, wo du deine Dukaten versteckt hältst.«
    Herr de Vielle blieb jedoch stumm. Nachdem sie ihn erschlagen hatten, durchsuchten sie das ganze Haus. Dabei stellte sich heraus, daß sein Besitzer arm gewesen war und außer seiner Ehre und seiner Abstammung nicht viel besessen hatte. Sie ließen den Herrensitz der de Vielle in Flammen aufgehen.
    Anderntags kamen die Frauen an die Reihe. Unter dem Vorwurf der Hexerei wurden damals sieben Weiber verbrannt: zwei Edelfrauen, die anderen waren aus dem einfachen Volk.
    Am Tag des heiligen Ambrosius behauptete der Bäcker Mehoune, der unter dem Pöbel jetzt die erste Geige spielte, ich sei seit vielen Jahren mit dem Hof in Gent nur allzu vertraut und habe es immer schon auf die Privilegien der Stadt Arras abgesehen. Er war es, der als erster schrie:
    »Herr Jean liebt unsere Stadt nicht, wie sich’s gebührt!« Nach ihm schrien es die anderen. Wieviel Wut war in ihnen… Und was habe ich nicht alles über mich erfahren!
    Ihr Herren! Der Mensch meint in seinen vier Wänden zu leben, außerhalb der Welt, gut verborgen vor Auge und Ohr seines Nächsten. Dem ist nicht so! Jeder von uns trägt Groll in seinem Herzen, dem er nicht erlaubt, in seinem Kopf herumzuspuken. Doch wenn die Stunde kommt, trifft alles zusammen, Steinchen auf Steinchen, Strohhalm auf Strohhalm, und ein furchtbares Bild entsteht daraus. Ich selber konnte mich nicht einmal auf einen Teil meines Lebens so genau besinnen, wie sie sich auf die Ganzheit besannen. Mein Gott, ich habe keine Ahnung, warum sie unbedingt meinen Kopf wollten! Was hatte ich ihnen denn getan? Ich war in dieser Stadt von Alberts Hand wie ein Quarkkäse geknetet worden – nach seinem Ab- und Ebenbild.
    Ich habe getreu, meines Verdienstes sicher, gedient. Und da schrien sie nun, man solle mich verbrennen.
    »Wie gescheit ist Herr Jean!« riefen sie. »Viel zu gescheit, um in unserer Stadt weiterzuleben. Wir verlangen reinen demütigen Glauben, verlangen Gehorsam gegenüber dem Himmel und wünschen keine Neunmalgescheiten, die uns mit der Kompliziertheit ihrer Rede und ihrer Gedankengänge beleidigen. Unsere Hände sind schwielig geworden von schwerer Arbeit, und wir vertrauen nur unseren Händen und den Lehren der heiligen Kirche. Herr Jean aber verbringt Tage und Jahre mit Disputen und hat sich einen Verstand angeeignet, der des Satans Altar ist.«
    Schon war ich so gut wie verloren, als Albert das Wort ergriff:
    »Ich sage nicht, daß alles, was Herr Jean getan hat, Beifall verdient. Er hat sich schwer gegen die Stadt versündigt, denn trotz der vielen Jahre Unterweisung besteht er noch immer aus Zweifeln und Unschlüssigkeiten. Wenn ich euch sage, daß das heiße Christenherz Berge versetzen kann, kommt er einem sogleich mit seiner Ansicht, daß das Herz weder Hände noch Füße habe, um irgend etwas tragen zu können. Wenn ich euch zurufe, daß das Wollen alles bedeutet, verhehlt er durchaus nicht seine Zweifel und expliziert, daß auch die Vernunft von Gott stamme. Man sagt hier, der Verstand sei ein Werkzeug des Teufels! Das ist nicht wahr! Wahr hingegen ist, daß der Teufel nur im Verstand, niemals aber im Herzen eines Menschen wohnen kann. Ich vermag auf die Frage, ob Herr Jean schuldig ist, nicht zu antworten! Seine Häresie besteht hauptsächlich darin, daß ihm trotz eifriger Bemühungen das Vertrauen fehlt. Fortwährend unterliegt er den wunderlichsten Einflüsterungen. Deren Quelle kann durchaus der Teufel, kann aber auch ganz einfach Schwäche sein. Unsere Sorge sollte eher der Errettung, nicht der Verdammung dieser Seele gelten. Ich meine, man soll Herrn Jean aus dem Rat entfernen, um ihm Zeit zu Gebet und Meditation zu geben. Dann wird man ja sehen…«
    Als ich den Ratssaal verließ, sagte ich laut und vernehmlich,

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