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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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seine Angebetete zu suchen habe, bestieg er ein Schiff und segelte nach Benevent. Dort empfing ihn eine zähe alte Vettel, die wie ein Misthaufen stank, sehr angetan von den Beweisen einer solchen Ritterlichkeit. Mein Großvater väterlicherseits starb in ihren Armen. Vor seinem Hinscheiden rief er, daß er sehr froh sei, sein Leben nicht vergeudet zu haben, da er am Ende doch noch die Dame seines Herzens gesehen habe. Als man ihm seine Rüstung auszog, soll er dreißig Wunden am Leib gehabt haben, die er in Kämpfen um jene Dame davongetragen hatte.
    In meiner Jugend hat mich diese Erzählung sehr ergriffen, aber mit zunehmendem Alter wurde ich gescheiter. In der Zeit, da mein Großvater die Welt durchwanderte, hatte diese Hure aus Benevent genügend Gelegenheit gehabt, um drei Männer zu ehelichen und zwölf Söhne zu gebären. Sehr schön! Das schlimmste aber ist, daß niemand dem Ritter befohlen hatte, dieser morschen Waschbütte hinterherzulaufen.
    Das war einmal; heute grinst man höhnisch, wenn von solchen Narreteien die Rede ist. Aber hegen wir in unseren Herzen nicht ähnlich Törichtes? Freiheit! Immer war ich für Freiheit. Ich hab’s bereits erwähnt. Aber während in unserer Welt heute die einen von Achtung für den Menschen, von Gewissens- und Gedankenfreiheit reden, schreie ich so laut ich nur kann nach Freiheit für meine Lenden, Arme, Knie, Haare, Zunge, meinen Bauch, meine Nasenlöcher, Finger, Lippen, Ohren, Füße, Ellbogen, meine Leber, Zähne, Knochen, meinen After… Ach, mein Gott, ihr Herren, all das ist das Meine, so schrecklich und so schmerzhaft, wie nichts anderes mein sein kann! Der Schöpfer selber hat mir diesen Leib anvertraut, damit ich sein Recht zu existieren wahre.
    So viel weiß ich, Graf de Saxe ist seinem Körper treulos geworden und damit treulos der Person, die ihm von Gott gegeben ward. Gott hab ihn selig! – aber immerhin hat er schwer gesündigt.
    Das Furchtbarste war, daß er, als sie ihn zur Hinrichtung führten, dem auf der Straße versammelten Volk zurief, daß er unschuldig sei und sterbe, um die gute Stadt Arras wachzurütteln. »Möge Gott euch allen vergeben, wie ich euch vergebe«, sprach er, was jeder denkende Mensch für eine offene Lästerung ansah. Denn solche Worte kommen wohl dem Herrn Jesus zu, aber nicht dem Grafen de Saxe, der ein hartgesottener Sünder war. So hoben also die Leute Steine auf und warfen sie auf ihn, hoben getrocknete Schmutzklumpen auf und bewarfen ihn damit, ebenso Pferdeäpfel und Ziegenmist. Er aber bewahrte seine ganze Autorität und eine bestechende Würde.
    Als man ihn an den Richtpfahl band, sagte er laut zu dem Meister, damit alle es hörten: »Meister, mach deine Arbeit gut. Ich gebe dir einen Dukaten dafür…« Jener aber verbeugte sich tief und küßte dem Grafen die Füße, obwohl die Schuhe dreckverschmiert waren. Und der Meister machte seine Sache gut. Ich möchte sagen: zu gut; aus diesem Grunde erfreute er sich auch nicht lange seines Dukaten. Nachdem er den Grafen an den Pfahl gebunden hatte, zündete er den Scheiterhaufen an; und als die Flammen aufloderten, stieß er überaus behend dem Verurteilten das Messer bis an den Schaft ins Herz. Graf de Saxe stöhnte auf und hauchte sogleich seine Seele aus, so daß das Feuer nur noch einen gefühllosen Leib verzehrte. Doch Leute, die in der Nähe standen, hatten es gesehen und trugen es dem Rat zu, und eine Weile danach – als sich seine Stunde erfüllt hatte – legte der Meister der Stadt Arras seinen Hals unters Beil. Doch alles was recht ist, er starb fröhlich und getrost; denn von jenem Dukaten hatte seine Frau ein hübsches Landgut am Tor Trinité erworben; sie war also gut versorgt.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Damals auf dem Richtplatz durchlebte ich schwere Augenblicke. Mit allergrößter Mühe unterdrückte ich ein Schluchzen, das sich meiner Brust entringen wollte. Da also ging ein großer achtenswerter Herr aus der Welt, der zu meinen hochwürdigen Freunden und Beschützern gehört hatte! Ich war der letzte gewesen, der ihn unter vier Augen gesprochen hatte. Nach meinem Besuch im Verlies war er nur noch dem Rat vorgeführt worden, wo er keinerlei Zerknirschung zeigen wollte, vielmehr seinerseits den Rat aufrief, sich doch zu besinnen. So also durfte ich mich für den Vertrauten seiner Todesstunde halten. Inbrünstig betete ich zu Gott, daß er diese verirrte Seele zu sich nehmen möge. Eben da, mitten im Gebet, am

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