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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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später…

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Ich fürchtete mich entsetzlich. Wußte ich doch besser als jeder andere, was einen Wagehals, den die Wachen zu fassen bekamen, erwartete. Die Stadt Arras ist in dieser Hinsicht sehr grausam; sie schätzt nämlich die Anhänglichkeit ihrer Bürger. Die Torturen konnten nicht kürzer währen als von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Ich selber gehörte mit zu den Verfassern dieses Gesetzes, welches wir den Bürgern in dem Jahre, da die Pest erlosch, verkündeten. Ein Trost war für mich, daß es bereits Spätherbst war. Im Hochsommer waren die Torturen am unbarmherzigsten und dauerten am längsten. Aber ich begriff auch ohnedies, daß das Risiko groß war. Nicht einmal denken mochte ich daran, was geschah, wenn ich ihnen in die Hände fiel…
    Ich verließ das Haus vor Mitternacht. Die Zeit war überaus günstig. Finstere Nacht, der Himmel bewölkt, keine Spur von Mond und Sternen. Die Stadt schlief, nur aus der Ferne klang das Chorgebet aus der Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit herüber. Ich hatte mir eine Kapuze übergezogen und mich in einen Mantel gehüllt. Ich trug auch einen Dolch mit handlichem Griff bei mir, der sehr schmal und spitz war und den man mit einem gezielten Stoß jemandem ins Herz senken konnte. Langsam schritt ich dahin, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Mein Diener erwartete mich unweit des Tores des heiligen Ägidius. Das gab mir Kraft, denn ich rechnete auf seine Hilfe. Im Dunkeln konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber ich freute mich, daß er bei mir war. »Hast du eine Waffe?« frage ich leise.
    »Ja«, antwortet er mit so schwacher Stimme, daß ich erschrecke. Ich blicke zum Tor und sehe es weit geöffnet, die Wachen würfeln… Dergleichen war bisher noch niemals geschehen. Stets hatte sich die Stadt Arras in der Dämmerung dicht verschlossen, um mit Aufgang der Sonne ihre Tore von neuem für die ganze Welt zu öffnen. Ich hatte damit gerechnet, mich die Mauer herablassen zu müssen, und zu diesem Zweck starke Hanfseile am Sattel befestigt. Die Gräben waren seit langem ausgetrocknet, weil es an Regen gefehlt hatte, und unterhalb der Mauern erstreckte sich nunmehr ein unerfreulicher Sumpf, der jedoch, die Beine bis zu den Knien im Morast, leicht zu durchqueren war. Ich hatte mir ausgedacht, daß ich von der anderen Seite die geheime Pforte öffnen würde, die man während der Pest in die Mauer gehauen hatte, und daß der Diener dorthin das Pferd führen sollte. Die Pforte war von außen verschlossen, weil sie der Bischof für den Gebrauch der Wachen hatte anbringen lassen, die damals jenseits der Stadtmauern lebten.
    Auf diese Weise also hatte ich meine Flucht geplant, und da sah ich nun die Tore weit offenstehen!
    Mein Diener flüstert plötzlich: »Herr, verzeih mir meinen Kleinmut, aber Feigheit hat mich übermannt, und ich werde nicht mit dir gehen…«
    »Wie das?« frage ich. »Du selber hast mir deine Hilfe angeboten.«
    »Ja, ich weiß«, antwortet mein Diener. »Aber mir klappern die Zähne, wenn ich daran denke, was passiert, wenn sie uns ergreifen. Sie ziehen einem die Haut ab, hacken nacheinander alle Glieder ab, reißen die Zunge heraus, brennen die Augen, und dann, nach und nach…«
    »Schweig, blöder Kerl!« unterbrach ich den Elenden, aber die Haare standen mir zu Berge. Und er verstummte. Ich sah zum Tor hinüber. Ein Zisterziensermönch kam, sich auf seinen Wanderstab stützend, des Wegs. Man würdigte ihn keines Blickes. Es war ein Fremder, bei uns in Arras hat es nie Zisterziensermönche gegeben. Ich dachte bei mir, wenn er verständig ist, wird er den Fürsten von allem, was in der Stadt vor sich geht, in Kenntnis setzen. Daher sagte ich zu meinem Diener: »Bring das Pferd in den Stall zurück und leg dich schlafen.«
    Bevor ich mich noch umschauen konnte, war er bereits verschwunden.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Ich habe bereits gesagt, daß mir die Stadt Arras einen höllischen Streich gespielt hat. Wie hätte ich sie bei offenen Toren verlassen können? Etwas anderes war es, Schwierigkeiten zu überwinden, sich mit den Wachen einen Kampf auf Tod und Leben zu liefern. Aber so? Als er sein Urteil fällte, ahnte der Rat nicht, daß mich Albert so grausam in Versuchung führen wollte. An demselben Abend wurden die Tore nicht geschlossen.
    Nach Hause zurückgekehrt, fühlte ich, daß ich mich verhalten hatte, wie es sich

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