Eine Messe für die Stadt Arras
Vielles geplündert hatte, klagte den Rat an, geheime Abmachungen mit David getroffen zu haben. Anfangs wurde er ausgelacht, aber er war zu gerissen und hatte außerdem eine Schar des allerübelsten Gelichters um sich versammelt. Also nahm ihn Albert in den Rat auf, damit er eine beratende Stimme habe.
Dieser Wagner besaß genügend Verstand. »Nein«, sagte er, »das darf nicht sein, daß ein jeder nach eigenem Gutdünken Gerechtigkeit zumißt. Dazu ist der Rat mit dem ehrwürdigen Vater Albert an der Spitze da. Genug der Überfälle auf den Straßen, genug des Halsabschneidens! Wer mit einem anderen eine Rechnung zu begleichen hat, komme zum Rat…« Man hörte ihn mit großer Freude, denn die soliden Leute fürchteten sich inzwischen bereits, in der Dämmerung auch nur die Nase aus ihrer Behausung zu stecken. Sie glaubten, der Lahme Thomas würde die Ordnung wiederherstellen. Und was für eine Ordnung er ihnen gab! Kommt ein Kamerad zu ihm und sagt: »Thomas, mein braver Freund. Ich hab’ da mit Herrn Astruc ein Hühnchen zu rupfen. Er hat mir einen Dukaten geborgt, aber ich will ihn nicht zurückgeben. Unternimm was in dieser Sache!« Thomas kratzt sich den Schädel und sagt: »Reich Klage gegen Herrn Astruc ein.« – »In welcher Sache denn?« fragt ihn der Kamerad. – »Das findet sich!« antwortet Thomas. »Komm abends zu mir, und ich werd’s dir sagen!« Und man bereitet eine Anklage gegen Herrn Astruc vor, nämlich: daß er die Allerheiligste Dreifaltigkeit beleidigt habe. Herr Astruc war ein Stotterer. Wenn er ein Gebet sprach, reichte ihm die Sprache für den Vater und den Sohn, über den Heiligen Geist dagegen stolperte er stets; hier mußte er Atem schöpfen. Seine Zunge war bis zu einem solchen Grade schwerfällig, daß er selbst dann, als man ihm einen Scheiterhaufen anzündete und er betete, den Heiligen Geist nicht ohne Zaudern hervorbringen konnte.
Eines Nachmittags kam Pierre de Moyes zu mir, ein langjähriger Freund, der noch immer im Rat saß.
»Jean«, sagt er, als wir miteinander allein waren, »es ist Anklage gegen dich erhoben worden, du sollst arretiert werden.«
»Das kann doch nicht sein!« ruf ich aus, von Furcht gepackt. »Was meint Albert dazu?«
»Albert hat unter Druck des Rates zugestimmt«, antwortet de Moyes.
»Und wer war dagegen?« frage ich den Freund.
»Gegenstimmen hat’s keine gegeben«, erwidert der und wird ein wenig traurig. Doch hastig fügt er hinzu: »Um so eiliger bin ich zu dir gekommen, um dich vom Beschluß des Rates in Kenntnis zu setzen.«
Als er mein Haus verließ, schaute er sich wachsam nach allen Seiten um. Er war ein sehr ehrenwerter Mann, wenn auch ein Schwächling…
Allein geblieben, erlangte ich sogleich meine Ruhe wieder. Also sind sie eines Sinnes und begreifen nicht das Unrecht, das sie da anrichten. Sie hatten ihr Gewissen an die Herde abgetreten – wie Schafe, Sündenböcke… Und niemand unter ihnen kam auf die Idee, daß es keine tyrannischere Tyrannei auf der Welt gab als die Einhelligkeit, daß es keine ignorantere Ignoranz gab als die Einhelligkeit, keine dümmere Dummheit als die Einhelligkeit. Sie verbargen sich hinter ihr, und damit legten sie sich den Strick um den Hals. Ach, wie sehr litt ich unter meiner Einsamkeit, doch gleichzeitig war ich stolz, daß ich an dem allem nicht teilhatte.
Eben damals faßte ich den besagten Entschluß.
Ich rufe einen vertrauenswürdigen Menschen und sage zu ihm: »Sattle mein bestes Pferd und führ es zum Tor des heiligen Ägidius. Ich selber werde um Mitternacht dort sein.«
»Herr«, sagt der Diener, »alle Durchfahrtswege sind bewacht.«
»Ich weiß, ich bin gewappnet und habe zudem nicht viel zu verlieren. Wenn’s sein muß, schlage ich mich mit Waffengewalt durch die Wachen und fliehe zu Fürst David.«
»Die Stadt wird dich dafür segnen, Herr!« ruft er aus. »Wenn bloß der Fürst hierherkommt, die ganze Teufelei hat dann ein Ende!«
»Das denke ich auch«, sage ich. »Ich werde hier nicht ruhig sitzen, während die Köpfe unschuldiger Bürger rollen…«
Der Diener ging hinaus, kehrte aber sogleich zurück.
»Herr«, sagt er, »ich fürchte für dein Leben. Wenn es sein muß, gehe ich mit dir. Ich verstehe das Schwert zu führen.«
»Ich werd’s mir überlegen«, sage ich und heiße den Diener gehen, damit er nicht die Tränen in meinen Augen sieht.
Wie froh ich war, daß man mich liebte! Daß ausgerechnet er es war, der dem Rat mein Vorhaben verriet, erfuhr ich erst
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