Eine Messe für die Stadt Arras
gebührt. Wenn schon die Stadt verrückt war, würde ich doch meinen klaren Kopf behalten. Wenn sie schlecht war, würde ich ein guter Mensch darin sein. Albert wollte mich mit Vertrauen knebeln. Einverstanden, dachte ich mit einer gewissen Rührseligkeit, ich zahle mit derselben Münze zurück, obwohl ich weiß, daß ich dafür schwer werde büßen müssen. Wenn Arras wünscht, daß ich an der allgemeinen Vernichtung teilhabe, so werde ich für alle hier ein lebender Vorwurf sein.
Es klingt unglaubwürdig, ihr Herren, aber ich begab mich in dieser Nacht zur Ruhe, und ich schlief gut. Es weckte mich die Sonne, als sie bereits hoch am Himmel stand. Mein erster Gedanke war der Zisterziensermönch, den ich auf der Brücke gesehen hatte. Wenn er auch nur ein Fünkchen christlicher Barmherzigkeit in sich birgt, geht er gewiß nach Gent. War solches denn nicht seine Pflicht? Ich wußte auch, daß die Zisterzienser Albert nicht mochten, weil er sie stets verhöhnt und dafür die Dominikaner in den Himmel gehoben hatte. Das wiederum war durchaus begreiflich, zog man die Predigerneigung des ehrwürdigen Vaters und auch seine Willfährigkeit, die er gegenüber einem jeden Bischof an den Tag legte, in Betracht. Also durfte ich hoffen, daß jener Mönch geradewegs nach Gent ging. Fieberhaft überschlug ich, wieviel Zeit es brauchte, bis David vor den Toren von Arras erscheinen würde. Die Rechnung fiel nicht allzu ermutigend aus – vor allem, wenn man bedachte, daß die Wachen mich jeden Augenblick holen konnten.
Und so ging ein Tag in Unruhe, wachsamem Lauschen auf die Schritte im Hof und Ausschauhalten nach den heranrückenden Wachen dahin. In einem fort schickte ich meinen Leibdiener hinaus auf die Straße, damit er mir Nachricht gäbe, und jedesmal kehrte er mit der Kunde zurück:
»Leer, Euer Wohlgeboren, bloß die Schweine grunzen beim Zaun…«
Bis endlich, lange nach Sonnenuntergang – die Öllampe war bereits heruntergebrannt –, am Haustor Geschäftigkeit einsetzte, der Diener hereinstürzte und den ehrwürdigen Vater meldete. Ich begrüßte ihn an der Schwelle. Er aber reichte mir nicht einmal die Hand zum Kuß, sondern schrie sogleich, daß ich Arras und seine Bürger nicht liebe. Ich widersprach, worauf er sagte:
»Du wolltest dich bei Nacht und Nebel zum Bischofshof davonmachen und uns David auf den Hals hetzen.«
Ich leugnete. Er lachte. Ich sah, daß er schwach war und furchtbar aufgedunsen; ihn peinigten Wasser im ganzen Leibe, die mit jedem Tag zunahmen. Ich bitte ihn also ins Haus, rufe die Bediensteten, befehle, geschwind einen Trunk zu reichen.
»In diesem Hause will ich nichts trinken!« rief Albert zornig. Und er wiederholt noch einmal, daß ich die Absicht gehabt habe, mich aus dem Staube zu machen.
»Das ist nicht wahr…«, erwidere ich forsch. Daraufhin läßt er den Diener kommen, den ich mit dem Reitpferd zum Tor vorausgeschickt hatte.
»Sag, was du mir gestern morgen zugetragen hast!« befiehlt Albert.
Der Diener bekannte alles, wobei er mich herausfordernd ansah. Ich begriff sofort, daß ich da eine Schlange an meinem Busen genährt hatte, die mich nun ins Verderben stürzte.
Als Albert und ich wieder allein waren, sprach ich:
»Vater, höre mich an! Es stimmt, daß ich zum Bischof wollte, ich kann diese Greuel nicht mehr länger mitansehen. Es ist Zeit, damit Schluß zu machen! Zeit für die Stadt, sich auf ihr Gewissen zu besinnen und Buße zu tun…«
Er wollte mich unterbrechen, aber ich redete weiter, weil mir klar war, daß ich um mein Leben kämpfte:
»Daher trug ich mich mit dem Gedanken, zu David zu gehen. Aber immerhin hab ich’s nicht getan, habe mich vielmehr im letzten Augenblick zurückgezogen; denn dies hier ist meine Stadt, und ich will sie nicht verraten, nicht einmal für eine gute Sache!«
Albert lachte so kalt und grausam, daß mir die Beine zu versagen drohten.
»Du lügst!« zischte er, und Speichel tropfte ihm dabei in den Bart. »Du lügst, Jean! Nicht aus Liebe zur Stadt Arras, sondern aus gerissener Feigheit hast du deine Fluchtpläne aufgegeben. Wenn dich der Diener nicht verlassen hätte, wärst du durchs Tor geschritten, und zuvor hättest du den Wachen einen Kampf geliefert. Aber sie haben dort bereits auf dich gewartet. Ich wollte dich nämlich auf die Probe stellen. Aber du hast mich überlistet… Klug bist du und widerlich. Du hast gewußt, was dich vom Henker erwartet, wenn man dich schnappt. Da wäre keine Rettung mehr gewesen…«
Bei seinen
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