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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Nur dann fühlen sich die Menschen frei…«
    »Frei!« wiederholte ich spöttisch, und ich dachte dabei an meine eigene furchtbare Lage. »Worin besteht denn die Freiheit, die du der Stadt Arras beschert hast? Sie ist die grausamste Sklaverei der Gewalt, der Angeberei, der Scheiterhaufen, Bannflüche und erbärmlichen Wahnvorstellungen…«
    Bei meinen Worten lächelte Albert.
    »Jean!« sagte er. »Es ist nicht wichtig, was ist, sondern was für einen Namen eine Sache trägt. Alles ist wie sein Name. Als sich Gott auf dem Berge Horeb Mose offenbarte, und als Mose fragte: ›Herr, wie ist dein Name?‹, antwortete Gott: ›Ich bin, der ich bin!‹ – Du sprichst von Gewalt und Wahnvorstellungen, denen die Stadt anheimgefallen sei. Du irrst dich! Was ist Gewalt, die du Strafe nennst? Strafe. Und was eine Wahnvorstellung, die du Glaube an die Erlösung nennst? Sie ist Glaube an die Erlösung! Der Mensch dünkt dich aus Taten und Plänen geschaffen, während er eigentlich aus Worten gebildet ist. Du bist nicht der erste, der der erstaunlichen Leichtigkeit unterliegt, die auf der allerdümmsten Täuschung des Menschenhirns beruht: daß man nämlich die Welt ohne Worte erkennen und verändern könne. Wie erkennst und änderst du sie ohne Zunge, die dir doch gegeben wurde, damit du sie benennest? Was keinen Namen hat, existiert nicht. Was aber existiert, existiert dank seines Namens.«
    Da rief ich aus, ergriffen bis in meines Herzens Tiefen:
    »Vater Albert! Der Teufel spricht aus deinem Munde…«
    Er aber ließ wiederum ein leises Lachen hören.
    »Da hast also auch du etwas benannt. Jean! Ich habe dich die Sprache gelehrt, und du gebrauchst sie. Du sagst: ›Teufel!‹ Streng dein Hirn an… Gib der Sache einen anderen Namen, dann wirst du auch etwas anderes hören. Du sagst: ›ich‹ – und wenn du das sagst, bist du für dich, ja, dann bist du von allem getrennt. Du sagst: ›wir‹, und wenn du das sagst, bildest du einen Teil des Ganzen. Ich sage dir: Wenn du ›ich‹ sagst, sündigst du – und wenn ich das sage, ist das unbestreitbar! Und ich gab deiner Rede einen Namen. So gebe ich allen Taten dieser Stadt einen Namen. Das, was jetzt in Arras geschieht, habe ich Freiheit genannt, und andere sind darin meinem Beispiel gefolgt – also ist es Freiheit, Freiheit und nichts anderes. Ich habe die Stadt gezwungen, zu tun, was sie tut, und sie will das tun, was sie tun muß. Wenn du darin nicht Harmonie und den einzigen Weg zur Erlösung siehst, bist du blind, taub und stumm. Ich nehme die Last aller Sünden dieser Stadt auf mich und bin bereit, dafür zu leiden wie keiner je zuvor. Ich habe sie gezwungen, zu tun, was ich befehle, und sie finden darin ihre eigene Lust und Freude. Wenn das nicht Freiheit ist, was sonst? Und sag mir endlich, wer wohl die Stadt mehr liebt als ich? Ich verurteile mich zu ewiger Verdammnis, nur damit Arras die Wonne erfährt, Dinge und Taten gemäß seiner eigenen Sprache zu benennen.«
    Er erhob sich und sah mich triumphierend an. Ich aber sagte:
    »Vater, vergib mir! Aber ich habe da entsetzliche Worte vernommen, die unfehlbar alle ins Verderben führen werden…«
    »Und selbst wenn es so ist«, erwiderte Albert – und abermals lächelte er –, »was ist schon dabei? Der Mensch, wenn er steht, fürchtet sich vor dem Tode. Doch wenn er geht, weiß er nicht einmal, daß er stirbt… Arras ist unterwegs, Jean! Jeder hier stirbt leichten Herzens. Selbst du!«
    Ich erbebte.
    »Gräm dich nicht«, sagte Albert. »Ich gehe jetzt. Im Morgengrauen kommen dich die Stadtwachen holen; du wirst unter Arrest gestellt und wirst dich vor dem Rat verantworten. Ich hab dir ja gesagt, daß du verurteilt bist. Aber du stirbst einen sanften Tod, ohne zu leiden, weil du derjenige bist, den ich in dieser Stadt am meisten geliebt habe. Du aber wolltest ihren Marsch aufhalten, und darum wirst du Strafe erdulden.«
    So sprach er und verließ mein Haus; ich aber griff nach dem Mostkrug und trank ihn gierig leer, dann zerschmetterte ich ihn an der Wand und weinte aus Angst vor dem Tode.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Meine Herren, Bürger der stolzen Stadt Brügge, die ihr mich so gastlich aufnehmt! Urteilt selber, war der ehrwürdige Vater nicht ein großer Weiser? Der Name also! Es gibt kein Seiendes, wenn es nicht benannt ist. Ich bin der, welcher Jean ist, dank dieser Tatsache werde ich zu einem Menschen. Und wenn ich euch folglich sagte, daß die Stadt

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