Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
Vom Netzwerk:
mich?«
    »Nein, guter Herr. Aber der Rat zahlt drei Dukaten für deinen Kopf.«
    »Drei Dukaten«, wiederholte ich schwermütig. »Ich hab nicht geglaubt, daß ich soviel wert bin…«
    Eine Menge Speisen war noch übrig, aber mir hatte es den Appetit verschlagen. Immer wenn ich die Schultern jenes Menschen sah, überrieselte es mich kalt.
    Wir tranken das Bier aus, und schließlich gingen sie und nahmen die Fackel mit. Völlige Finsternis umgab mich. Ich saß mit dem Rücken an die kalte Mauer gelehnt und lauschte dem Pochen meines Herzens.

I M N AMEN DES V ATERS UND DES S OHNES UND DES H EILIGEN G EISTES. A MEN . Ich bekenne, daß ich mich entsetzlich vor dem Tode gefürchtet habe; denn ich bin ein sehr sündiger Mensch. Doch Dunkelheit und Stille schienen lindernd zu wirken. So als existierte ich bereits nicht mehr, als befände ich mich außerhalb von Welt und Menschen. Ich hörte mein pochendes Herz, meinen röchelnden Atem. Mit habsüchtiger Hand betastete ich meinen Leib. Nichts war außer mir! Die ganze Welt war mit meiner Person ausgefüllt. Wenn der Tod nur das ist – dann ist er nicht allzu grausam… So verharrte ich in der Erwartung und hatte nur diesen einzigen Wunsch: Keine menschlichen Gesichter, Bäume, nicht mehr den Himmel und die Sonne sehen zu müssen. Wenn sie mich in dieser Zelle, in den tiefsten Tiefen des Rathauses, ohne Licht, in vollkommener Stille hätten umbringen können – ich würde eine sanfte Vernichtung erlangt haben. Und zugleich mit diesen Überlegungen begriff ich die ganze Grausamkeit des Gefängnisses.
    Die Zeit verrann in merkwürdiger Fühllosigkeit, die hin und wieder von verzweifelten Gedankenausbrüchen unterteilt wurde. Vielleicht bin ich eingeschlummert, vielleicht habe ich gewacht, jedenfalls hatte eine große Starre mich befallen, und ich wollte sie nicht verscheuchen. Man hätte es eine Einübung ins Sterben nennen können.
    Auf einmal drang Lärm an mein Ohr, dann blinkte ein schwacher Lichtschein in Kerkertiefe auf. Ich wollte mannhaft mein Ende erwarten. Da kamen sie also schon, um mich vor den Rat zu schleppen und von dort, gleich nach Sonnenaufgang, zum Richtplatz. Am liebsten hätte ich weder Augen, Ohren, Zunge noch Geruchs- oder Tastsinn besessen, aber ich besaß sie, und zwar in so furchtbarem Übermaß, daß es nicht in Worte zu fassen ist.
    Der Fackelschein wurde heller und heller. Schon klangen die Schritte sehr nah. Langsam stellte ich mich auf die Füße. Vor mir stand jener Mensch, der mir den Kopf abschlagen sollte.
    »Guter Herr!« rief er. »Der Fürstbischof von Utrecht ist durchs Tor Trinité in die Stadt eingeritten.«
    Und er stürzte auf die Knie.
    »Vergib mir, daß ich auf die drei Dukaten aus war, aber ich bin ein sehr armer Mann…«
    »Halt die Fackel gerade, sonst verlöscht sie!« schnauzte ich ihn an. »Und führ mich sogleich zum Fürsten!«
    Das also war meine wundersame Errettung, ihr Herren! Wie einem Roman über schurkische Drachen und edle Ritter entnommen. In dem Moment, da sich das Schwert zum Streich erhebt, um auf den Nacken des Herrn niederzusausen, hält eine überirdische Macht es auf, und der barmherzige Gott belohnt den Verurteilten für seine Treue und seine Leiden.
    Während ich eilig den unterirdischen Gang entlangschritt, geführt von dem nicht zum Erfolg gelangten Henker mit der Fackel, durchlebte ich überaus seltsame Augenblicke. Die freudige Überraschung beherrschte mich bis zu einem solchen Grade, daß ich bereit war, an ein Wunder, bei Gott durch meine Haltung bewirkt, zu glauben. Doch selbst wenn mein Geist zuweilen auch in solche Löcher fällt – so eigentlich nie auf lange! Als ich auf den Rathaushof hinaustrat, war ich wieder bei Sinnen.
    Die Nacht war kühl, aber im Verlies war es so eisig gewesen, daß ich mich jetzt ganz und gar nicht beklagte. Auf dem Hof hatte sich allerlei gemeines Volk angesammelt, aber auch einige Herren waren darunter. Diese begrüßten mich ehrerbietig, ja ich möchte sogar sagen, unterwürfig. Schließlich wußte jeder in Arras, daß ich ein Freund des Fürsten bin.
    Vom Rat war niemand in der Nähe; alle waren sie zum Tor Trinité gegangen. Also warteten wir. Fackelschein erhellte die Gesichter. Weder Erleichterung noch Angst noch Freude konnte ich darin wahrnehmen. Eher Schläfrigkeit. Erst da wurde mir bewußt, daß ja Mitternacht nicht mehr fern war – ich folglich nur wenige Stunden vor meinem Untergang gerettet worden war.
    Vom schweigenden Rat geleitet, erschien

Weitere Kostenlose Bücher