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Eine Messe für die Stadt Arras

Eine Messe für die Stadt Arras

Titel: Eine Messe für die Stadt Arras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Brügge Fische sät, und ihr stimmtet meinen Worten zu – alle Bürger würden mit Sicheln ins Meer gehen, um den Fisch zu mähen. Viele würden dabei ertrinken, aber es bliebe immer noch eine ziemlich große Schar übrig, die mit Körben gemähter Fische ans Ufer zurückkehrte. Ganze Familien gingen aufs Meer hinaus, wie man aufs Feld geht, und kämmten mit Sicheln den Schaum der Wellen. Und ein vorübergleitendes Schiff müßte gewiß auf einen Felsen auflaufen, weil alle Matrosen bei eurem Anblick den Verstand verlieren würden. Am meisten erregt mich die Vorstellung, daß sich schließlich in Brügge brave, achtbare Männer fänden – Familienväter, die fromm ihre Geschäfte tätigen –, die eine stolze Freude bei solcherart Meeresernten empfänden und jede Nacht die Sicheln schärften, um bei Tagesanbruch erneut den Fisch zu mähen. Und wer behauptete, daß es zweckmäßiger sei, Zuggarn zu nehmen oder ein Netz auszuwerfen, der würde unfehlbar aus der Stadt getrieben – als Unglaube- und Unruhestifter.
    Meine Herren! Lasset niemals außer acht, was die Worte eures ehrwürdigen Rates zu besagen haben, es kann nämlich der Tag kommen, da in Brügge die Fische zu singen beginnen, die Vögel mit der Angel gefangen werden, die Hengste um guter Milch willen gemolken und die Kühe zum Reiten gesattelt werden. Denn etwas ist nicht, was es ist, sondern wie sein Name lautet! Während ich das sage, empfinde ich Angst, eine Angst, die mir die Kehle zuschnürt.
    So kamen also an jenem Abend die Wachen. Ich leistete keinen Widerstand, sondern sagte zu dem Obersten:
    »Warte vor der Tür, ich kleide mich unterdessen warm an; im Verlies ist es ziemlich kühl.«
    Darauf er:
    »Das ist wahr. Aber nimm eine große Kruke Most mit. Die Wachen trinken gerne und würfeln dann mit den Häftlingen, und man ist gemeinsam fröhlich.«
    Ich tat, wie er mir riet. Sie führten mich in einem ziemlichen Bogen durch die Stadt zum Rathaus, und viele Bürger konnten sehen, in welch heikler Lage ich mich befand. Aber sie zeigten kein Mitgefühl. Überhaupt schienen sie mir erschöpft, so als verlösche allmählich das Feuer, das die Stadt verzehrte. Das war tröstlich.
    Man sperrte mich in das Verlies, das ich schon deshalb sehr gut kannte, weil ich viele Jahre hindurch die Bauaufsicht über das Rathaus innegehabt hatte: ein dunkles, feuchtes Gelaß, aber ich fand dort eine Bank vor, sowie ein Bündel Stroh. Ich wurde auch nicht an die Wand gekettet, weil ich noch nicht für schuldig erklärt worden war, vielmehr meine Akte erst dem Rat vorgelegt werden sollte. Zudem muß ich einräumen, daß die Wachen rücksichtsvoll mit mir umgingen und mir eine gewisse Achtung entgegenbrachten. Offenbar hatte Vater Albert Befehl gegeben, mir keine allzu große Unbill anzutun.
    Die Nacht war inzwischen hereingebrochen, und die Knechte zündeten zwei Kienhölzer an. Einer von ihnen sagt: »Guter Herr, würfelst du mit uns?«
    »Mit Vergnügen!« antwortete ich. Also würfelten wir, bis es von den Türmen Mitternacht schlug. Danach streckte ich mich auf der Bank aus und schlief ein.
    Mit mir geschah etwas Merkwürdiges. Obwohl ich den sicheren Tod vor Augen hatte, verlor ich durchaus nicht die innere Ruhe, ja nicht einmal eine gewisse Heiterkeit des Gemüts. Ich argwöhnte, daß es sich dabei um eine Art Geistesverwirrung handelte, so als flüchtete ich mich bei dem Gedanken an mein schreckliches Ende in den Wahn. Auf jeden Fall habe ich, seitdem ich nach Alberts Weggang in Tränen ausgebrochen war, nicht mehr geweint, war sogar recht fröhlich. Beim Würfeln mit den Knechten wollte ich unbedingt gewinnen. Jeder unglückliche Wurf brachte mich auf, und bei jeder glücklichen Zahl brach ich in Gelächter aus. Das brachte mir so viel ein, daß ich – schon im Einschlafen – hörte, wie ein Knecht zu den anderen sagte: »Das ist ein wirklich großer Herr, der den Tod nicht fürchtet…«
    So verbrachte ich im Verlies zwei friedliche Tage, an die ich selbst heute noch ohne Bedauern zurückdenke – bis der Mann von der Wache kam, um einen Schluck Most zu trinken. Er kriecht zu mir in das Kämmerchen und sagt leise:
    »Guter Herr! Mach dich aufs Sterben gefaßt. Ich weiß, wessen sie dich anklagen werden.«
    »Rede!« sage ich zu ihm.
    »Das weiß ja schon die ganze Stadt, daß du dich mit dem Grafen de Saxe gegen unsere Vorrechte verschworen hast. Als du ihn im Verlies besucht hast, um dich mit ihm zu unterreden, hat er dir ein Schreiben an Fürst David und

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